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Jeanne-Marie Leprince de Beaumont, Johann Joachim Schwabe: Die Schöne, und das Thier

„Wenn ich Witz hätte, antwortete das Thier, so würde ich Ihnen ein groß Compliment machen, und mich bey Ihnen bedanken: allein, ich bin dumm; und alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß ich Ihnen sehr verbunden bin.“

Die Schöne speisete den Abend mit gutem Appetite. Sie hatte fast gar keine Furcht mehr vor dem Ungeheuer: sie wäre aber bald vor Schrecken gestorben, als es zu ihr sagete: „Schöne, wollen Sie meine Frau werden?“

Sie blieb eine Zeitlang still, ohne zu antworten. Sie furchte sich, sie möchte den Zorn des Ungeheuers erregen, wenn sie es abschlüge. Indessen sagete sie doch mit Zittern: Nein, Thier.

In dem Augenblicke wollte dieses arme Ungeheuer seufzen, und machete ein so entsetzliches Gezische, daß der ganze Pallast davon erschallete. Die Schöne bekam aber bald wieder Muth. Denn das Thier sagete mit Betrübniß zu ihr: Leben Sie denn wohl, Schöne! und gieng aus dem Zimmer hinaus, wobey es sich von Zeit zu Zeit umkehrete, damit es die Schöne noch einmal ansähe.

Als die Schöne sich allein sah, so empfand sie ein großes Mitleiden mit diesem armen Thiere. „Ach, sagete sie, es ist recht Schade, daß es so häßlich ist; es ist so gut!“

Die Schöne brachte drey Monate in diesem Pallaste ziemlich ruhig zu. Alle Abende stattete das Thier seinen Besuch bey ihr ab, unterhielt sie bey der Tafel mit vieler gesunden Vernunft, aber niemals mit dem, was man in der Welt Witz nennet. Alle Tage entdeckete die Schöne neue Güte an diesem Ungeheuer. Die Gewohnheit, es zu sehen, hatte sie an seine Häßlichkeit

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Jeanne-Marie Leprince de Beaumont, Johann Joachim Schwabe: Die Schöne, und das Thier. Weidmann, Leipzig 1767, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sch%C3%B6ne,_und_das_Thier._Ein_M%C3%A4rchen.pdf/16&oldid=- (Version vom 4.8.2020)