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also mindestens zweier Königs- und zweier Kaiser-Bullen bedient[1].

Die Siegel Heinrichs IV. und Heinrichs V. sind noch nicht so genau durchgearbeitet, um ganz abschliessende Ergebnisse zu bieten. Zu den Stempeln Heinrichs IV. möchte ich jedoch auf das falsche Siegel hinweisen, das sich heute auf zwei Werdener Diplomen findet, dem falschen D. Heinrichs I. 26 und dem Originaldiplom Heinrichs III. St. 2164. Leider ist es in beiden Fällen nur unvollständig erhalten, im ersten findet sich nur das Mittelstück, im zweiten fehlt der grösste Teil der Legende[2]; indessen ist die Arbeit so gut und stimmt in Einzelheiten so weitgehend mit dem dritten und vierten Königssiegel Heinrichs IV. überein (Posse Taf. 16, 3. 4), dass ich nicht für ausgeschlossen halte, dass es sich hier entweder um ein noch unbekanntes echtes Königssiegel Heinrichs IV. selbst oder um eine wenigstens teilweise mechanische Abformung danach handelt[3]. Das ist aber immerhin nur eine Vermutung, die der Nachprüfung bedarf.


auf der Reproduktion Posses wenig zu sehen ist. Die Abweichung wird indessen besonders deutlich beim Vergleich der Reverse. Auf dem bereits bekannten Stempel ist die Burg- (oder Stadt-) Mauer von rechts nach links gemessen ungefähr 4 mm breiter als auf dem hier abgebildeten. Am Vollbart des Kopfes auf dem Avers lassen sich ferner sechs Strähne neben einander vom Kinn zum Ohr am alten Stempel, gegen fünf auf unserer Abbildung unterscheiden. Dieser Art ergeben sich noch einige Unterschiede bei genauer Betrachtung, wobei allerdings die Bilder Posses zum Vergleich nicht ausreichen.

  1. Nicht anerkennen kann ich dagegen den von Kemmerich als Variante des zweiten Königssiegels Heinrichs III. konstatierten angeblichen Typus (Frühmittelalterliche Porträtplastik S. 81, Abbild, n. 38) auf dem nicht näher bezeichneten Diplom Heinrichs III. n. 357 (St. 2224) des Münchener Reichsarchivs. Ich möchte getrost behaupten, dass seine Abbildung entgegen seiner Angabe nicht die Originalgrösse darstellt, sondern nur eine verkleinerte, schlechte Wiedergabe desselben Typus bietet, von dem auch der Abdruck, den er S. 80, n. 35 abbildet, herrührt, wie denn auch die kräftige Unterlippe beiden gleichartig angehören wird, vielleicht nur nicht ganz gleichartig zur Ausprägung gelangt ist.
  2. Zu lesen ist ‘D‾I’ und dann, unterbrochen durch den Schemel, ‘GRA III’, wobei ich weiter ergänzen möchte ‘I REX’ (also ‘IIII REX’; möglich wäre daneben freilich auch als ursprünglicher Text: ‘GRATIA REX’), während zu Anfang ‘HEINRICVS’ gestanden haben dürfte. Diese Teilung der Legende wie auch die (dort ausgeschriebene) Ordnungszahl findet sich sonst zuerst bei dem Königssiegel Heinrichs V. Der Kopf unseres Siegels, ursprünglich unbärtig, hat jetzt einen ganz plump markierten Vollbart, der nachträglich aufmodelliert ist, und durch den man vielleicht das Bild den Siegeln Heinrichs III. hat ähnlicher machen wollen.
  3. Posse bietet von den Siegeln Heinrichs IV. zwei Typen mehr, als von Bresslau verzeichnet wurden. Es sind das einmal das schon erwähnte vierte Königssiegel, das identisch ist mit der von Brunner, Herrscherbildnis S. 44, N. 2, angeführten Variante des dritten Siegel. [262] Brunner irrt, wenn er den Durchmesser beider von ihm zitierten Siegel auf den DD. St. 2817. 2774 mit 8,6 cm angibt; er beträgt tatsächlich nur 8 cm, wie die Abbildung Posses (Taf. 16, 4) nach dem Siegel des D. St. 2817 und ein in meinem Besitz befindlicher Gipsabguss von demjenigen des D. St. 2774 ergeben. – Zweitens erscheint die Goldbulle (Taf. 17, 1. 2) an dem damals unzugänglichen Osnabrücker D. St. 2814a, das übrigens zu 1079, nicht 1078, wie Posse angibt, gehört, als Variante zu den bisher bekannten zwei Exemplaren; ihre Echtheit steht nicht in Frage (vgl. Tangl im Archiv für Urkundenforschung II, 230). – Auch eine Kaisergoldbulle Heinrichs IV. müsste existiert haben, wenn die Dorsualnote saec. XV. (und eine Notiz im Kopialbuch der Verduner Kathedrale) auf der jetzt im Nachlass Clouëts wieder zu Tage gekommenen Urschrift des D. St. 2883 der Wahrheit entspräche. Hat man vorläufig auch noch keinen Grund, die Originalität des Stückes zu bezweifeln[WS 1], so ist doch zu bemerken, dass in der Korroboration von ‘sigilli impressio’ gesprochen wird; für ein aufgedrücktes Siegel ist aber gar kein Platz vorhanden und dementsprechend fehlen auch die notwendigen Einschnitte. Aber auch die Bullierung könnte nur mit Hülfe eines kleinen Loches zwischen den beiden Zeilen der Datierung stattgefunden haben, ohne dass heute Spuren davon zurückgeblieben sind. Dazu kommt, dass die jetzt verlorene Bulle von Calmet, Histoire de Lorraine ed. I. I, preuves col. 484, folgendermassen beschrieben wird: ‘Pendet sigillum aureum cum epigraphe in antica parte, ubi vultus imperatoris: Christe protege Henricum Regem. Ex altera parte, ubi quaedam castelli effigies: Aurea Roma, Roma caput mundi regit orbis fraena rotundi’. Es wäre also, wenn Calmets Beschreibung zutrifft, eine Königsgoldbulle gewesen und diese hätte im Gegensatz zu den Typen Heinrichs IV. das Aussehen einer der Königsbullen Heinrichs III. gehabt. Beide Umstände machen es recht unwahrscheinlich, dass diese Goldbulle und das Diplom ursprünglich zusammengehört haben. Entweder war sie einem verlorenen D. Heinrichs III. für die Verduner Kathedrale entnommen, um das D. St. 2883 zu beglaubigen, oder man hat vielleicht eine Bleibulle Heinrichs III. künstlich vergoldet, um damit denselben Zweck zu erreichen.

  1. Vorlage: bebezweifeln
Empfohlene Zitierweise:
Hans Wibel: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige (Rezension). Hahnsche Buchhandlung, Hannover und Leipzig 1910, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Siegel_der_deutschen_Kaiser_und_K%C3%B6nige_(Rezension).pdf/16&oldid=- (Version vom 31.7.2018)