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Centrum der Erde gezogen, so stößt man gerade auf die Stadt Quito in dem südamerikanischen Staate Ecuador. Diese beiden Punkte hatte Richard als die neuen Pole der Erdachse bestimmt.

Macht man sich dies auf einem Globus klar, so wird man finden, daß der dadurch entstandene neue Aequator durch Deutschland geht, und zwar genau über Leipzig. Dies hatte Richard gewollt. An einem eiskalten Januartage sollte seine Vaterstadt durch einen Rutsch der Erdachse plötzlich direkt auf dem Aequator liegen.

Die plötzliche Wärme und das Schmelzen des Schnees konnte er sich also wohl erklären, nicht aber das Umfallen von allem Lebendigen.




In der Totenstadt.

Er hatte den Fuß der Turmtreppe noch nicht erreicht, als er schon auf eine Leiche stieß. Es war diejenige des Türmers, eines alten Mannes, der allein hier oben gehaust hatte.

Als Richard aus der Thür auf die Straße trat, kam ihm vollens die Ueberzeugung, daß alles Lebende vernichtet worden war. Menschen, Pferde, Hunde, Tauben, Sperlinge – alles lag tot da; sie konnten nicht gelitten haben, die Gesichter [WS 1] der Menschen zeigten wohl Angst, aber keine Leiden.

Doch nein, nicht alles war tot. Von einem Dache flatterte eine Schar Tauben herab und ließ sich zwischen den Leichen nieder. Wie waren diese dem Tode entronnen?

Daß eine Erdrevolution stattgefunden hatte, wie er es sich früher manchmal in Gedanken gewünscht, daß er sich nun plötzlich auf dem Aequator befand, dessen war Richard sich sofort bewußt gewesen, ohne sich darüber näher Rechenschaft geben zu können. Jetzt überlegte er nur, wie er selbst und diese Tauben noch zu leben vermochten, während alle anderen Menschen und Tiere doch verendet waren. Endlich fand er eine Erklärung. Die veränderte Erdumdrehung mochte doch

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gesicher
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Robert Kraft: Die Totenstadt. H. G. Münchmeyer, Dresden (1901), Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Totenstadt.pdf/5&oldid=- (Version vom 19.4.2017)