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Walther Kabel: Die Unglücksfahrt des „Neptun“ (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 2)

oder die Wachen zu verstärken. Und dies hätte unbedingt geschehen müssen, da der Dampfer gerade jene Meeresbreiten durchfuhr, die wegen der die Schiffahrt so außerordentlich gefährdenden Frühjahrstrift der Eisberge von jedem pflichtgetreuen Schiffsführer nur unter besonderen Vorsichtsmaßregeln befahren werden.

In diesen Tagen, wo nur graue Nebelfluten und gurgelnde Wasser das Fahrzeug umgaben, suchte sich die Besatzung vom Kapitän bis zum letzten Heizer herab mehr denn je durch reichliche Zuführung von Alkohol über die Eintönigkeit der Fahrt hinwegzuhelfen.

Am 16. April nachmittags lief der „Neptun“ zwischen zwei Eisbergen hindurch, die man allerdings in dem dichten Nebel nicht sehen konnte, deren Nähe jedoch an der rapiden Temperaturabnahme und dem Brandungsgeräusch nur zu deutlich zu spüren war. Aber auch diese Begegnung brachte die Bemannung nicht zur Besinnung. In der folgenden Nacht gegen zwei Uhr morgens hatte einer der Menageriewärter seine Schlafkabine verlassen, da die Raubtiere in ihren Verschlägen plötzlich einen wahren Höllenlärm verübten. Dem Wärter fiel es, als er das Verdeck betrat, sofort auf, daß die Temperatur abermals bedenklich gesunken war. Außerdem glaubte er auch von vorwärts das Rauschen brandender Wogen zu hören. Aus Vorsicht gedachte er diese seine Beobachtungen, deren schwerwiegende Bedeutung er von früheren Seereisen her kannte, der Wache mitzuteilen. Nirgends war aber eine solche zu entdecken. Nur auf der niedrigen Kommandobrücke lehnte ein verschlafener Matrose am Steuerrad, der dem vorsichtigen Wärter jedoch groben Tones bedeutete, er solle sich nicht um Dinge kümmern, die ihn nichts angingen.

Etwa eine Viertelstunde später – der Wärter war bereits wieder in seine Koje zurückgekehrt – ließ ein furchtbarer Stoß, dem ein mehrfaches Krachen und Splittern folgte, den ganzen Schiffskörper erzittern. Alles stürzte entsetz an Deck, denn jeder fürchtete, der „Neptun“ würde in der nächsten Minute wegsinken.

Da der Tag erst zu grauen begann und der noch immer

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Walther Kabel: Die Unglücksfahrt des „Neptun“ (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 2). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Ungl%C3%BCcksfahrt_des_Neptun.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)