Seite:Die deutsche Art in Luther 04.png

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treulich geachtet und geschätzt: der die Welt mit kühnem Blick durchmaß, ein Doktor, dem Himmel und der Hölle wohlbekannt, im Rate der Völker gehört und in all die Bewegungen auch wider Willen verflochten, hat seinen weit umspannenden Blick freundlich auf das arme Städtlein gesenkt, das ihm zur Heimat geworden war, und aus furchtbarsten titanenhaften Sorgen das Herz für die kleinen kindlichen Anliegen seiner nächsten Umgebung offen gehalten. Man hat ihm nachgerechnet, daß er in seinem wanderreichen Leben wohl über 2700 Meilen zurückgelegt habe, seinen Reisebericht von 1510 mit Bewunderung nachgeprüft. Der Mann, der die Herrlichkeit der alten Welt, die Schönheit der lachenden Gefilde Italiens und die Wunderbarkeit edelster Gebilde der Antike und der mittelalterlichen Kunst hat auf sich wirken lassen, ist der stille Bewunderer des Kirschbaumes in seinem Klostergarten und der Reseda am Fenster seiner Zelle geblieben. Großartige Kleinheit wird nie kleinlich werden und stille Bescheidung der Großartigkeit nie vergeßen. Wer im kleinsten treu ist, wird es im größten sein, und der in der gottgeordneten Enge sich heimisch fühlenden Seele wird die Weite des Blickes nur Anlaß zur Erinnerung des Dankes. Die Treue hat den Reformator auch befähigt, seinen alten Landesherren, den Mansfelder Grafen in ihren oft erbärmlichen Zwistigkeiten Hilfe zu tun, wie er denn sein müdes Haupt erst dann zur Ruhe legen konnte, nachdem er Friede im Hause seiner Grafen gestiftet hatte. Wie hoch denkt er von seinen sächsischen drei Kurfürsten: ein treuer Untertan, kein Byzantiner, voll Offenheit gegen ihre Schwächen und voll Dankbarkeit für ihre Gaben, er sieht mit dem einen die Weisheit, mit dem andern die Beständigkeit sterben und weiß am letzten Kurfürsten die gutmütige, allzeit willige Art zu rühmen. Es ist ihm von Rittern und Geistlichen, ja von der Stimme seiner Nation bezeugt worden, daß der Jüngling, der damals Deutschlands Geschicke leitete, für deutsche Art kein Verständnis besaß, er mußte selbst in das bleiche gelangweilte Gesicht des Spaniers blicken, der deutsch mit seinen Hunden und spanisch mit seinem Gott sprach, er vernahm, wie in entscheidungsreicher Stunde, da zu Augsburg unser mit Blut und Tränen geschriebenes

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Hermann von Bezzel: Die deutsche Art in Luther. ohne Verlag, 1910, Seite 04. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_deutsche_Art_in_Luther_04.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)