Seite:Die deutsche Art in Luther 08.png

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großen Klassiker, Denker und Dichter, die Weisheit auf der Gasse und in der Schule, Sprichwort und Volksrede sich ausbeuten und nimmer aufbrauchen, so hat er die kleine Laienbiblia, den Katechismus in die Hand des Pfarrherrn und Hausvaters gelegt, nicht als trocknes, starres Lehrbuch der Systematik, noch als schwer verdauliches Lernbuch der Dogmatik, sondern als Volksbuch, das im ersten Glaubensartikel Gott so menschlich nahebringt, im zweiten in wunderbaren Hymnen Freiheit und Befreier besingt, im dritten jubelnd das Geheimnis von Heimweh, Heimat und Heimatsfreude darbietet. Was ein Jakob Grimm und Wackernagel, ein Ranke und Treitschke von diesem Büchlein urteilen, wiegt die ärmlichen Ausstellungen der Undankbarkeit reichlich auf. Solange man ein Lehrbuch betend und seine Sprache singend nennen kann, ist es ein reicher Schatz.

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 Luther hat, da ihm Ton und Klang des Volksliedes und die große unbewußte Poesie, die in der Waldesstille schläft und aus den Gründen der Berge hervorlugt und durch’s Volksherz zieht, von Kindheit auf vertraut war, in Alliteration und Assonanz, (Herr, unser Herrscher wie herrlich ist Dein Name) das Bibelwort zu Sang und Klang erhoben. Das Lied, das der wandernde Geselle zur Wegfahrt sang, die Leise, die der Wallfahrer dem Kirchlein entgegenbetet, das Wiegenlied, mit dem die Mutter ihr Kind einschweigt, Schlachtgesang und Totenreigen, alles mußte dem sangesfreudigem Mann dienen. So ist er der Schöpfer des deutschen Kirchenliedes geworden: „Denn Evangelium ist gute Mär, davon man singet, saget und fröhlich ist“, dem volkstümlichen Lied, dem volkstümlichen Ton der volkstümliche Text. Er hat in Traurigkeit „fröhlich in die Claves gegriffen“ und dem Teufel zum Spott die hl. Musika angerufen, deren Freund ein himmlisch Gut gewonnen habe, „weil ihr erster Ursprung vom Himmel sei, wo die lieben Engelein selber Musikanten seien.“ Das evangelische Kirchenlied hat seitdem wie ein Waldstrom sich Bann gebrochen, Leidende getröstet, Kämpfende gestärkt, Sterbende erquickt, hat in Schlachten sich bewährt, bei Friedensschlüssen gejauchzt und gelobt und in schweren Zeiten das Volk ermutigt. „Wer es

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Hermann von Bezzel: Die deutsche Art in Luther. ohne Verlag, 1910, Seite 08. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_deutsche_Art_in_Luther_08.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)