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Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts, Zweiter Theil, M-Z

den Sie mit dem ersten Blick auf mein ganzes Wesen warfen. Damals kannt’ ich freilich weder Sie, noch mich selbst; ich hatte keinen Begriff davon, daß es möglich sey, nicht mit Ihnen und für Sie zu leben. – Aber es war eine idealische, eine wahre Zauberwelt, in der ich lebte, und selbst die Sophie, die ich so innig und doch so schwärmerisch liebte, war nicht die wahre Sophie Gutermann, sondern die Idee der Vollkommenheit, die sich in ihr verkörpert darstellte, mit ihr sich identificirte und also ganz natürlich diese seltsame, wunderbare platonische Liebe hervorbringen mußte, wovon ich späterhin im Agathon und mehrern andern meiner Werke einige Schattenbilder zu entwerfen versuchte, und deren süße Täuschungen einen so mächtigen Einfluß auf meine ganze innere und äußere Existenz gehabt haben. Nichts ist wohl gewisser, als daß ich, wofern uns das Schicksal nicht im Jahr 1750 zusammengebracht hätte, kein Dichter geworden wäre.“ – Unter diese, von Wieland erwähnten Werke, die das treue Denkmal seiner Empfindungen waren, gehört besonders das Lehrgedicht, die Natur der Dinge, oder die vollkommenste Welt, die Frucht eines enthusiastischen Spaziergangs mit seiner geliebten Sophie an einem Sonntage, nachdem er eine Predigt seines Vaters über den Text: „Gott ist die Liebe“, angehört hatte, welches Gedicht der junge Dichter in Tübingen, wo er kurz darauf sehr einsiedlerisch lebte, niederschrieb und vom Februar bis April 1751 die Handschrift beendete, so wie ein anderes: die erste Liebe an Psyche. – Aber auch Sophie gedachte nach 49 Jahren

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Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts, Zweiter Theil, M-Z. F. A. Brockhaus, Leipzig 1825, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_deutschen_Schriftstellerinnen_(Schindel)_II_188.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)