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Walther Kabel: Die gelbe Gefahr (Reclams Universum, Jahrgang 33)

wunde Tier ein markerschütterndes, langgedehntes Geheul, schauerlich klagend, bis die Töne in einem nachhallenden Huhu erstarben … Wer diese Raubtiertöne nur in einer Menagerie, nur in den engen Käfigen gehört hat, kann sich keine Vorstellung davon machen, wie dieselben im Freien wirken, wie sie meine Nerven erbeben machten, wo ich sie so dicht unter mir anschwellen und verklingen hörte. Selbst das stöhnende Brüllen des Löwen, das klägliche Grunzen und Heulen der Hyäne kommt in keiner Weise an Schaurigkeit dem entnervenden, so gellend und wechselvoll in allen Tonlagen vorgebrachten Schreien des Leoparden gleich. Und wieder und wieder erklang dieses Geheul; ich hätte mir die Ohren verstopfen mögen, nur um diesen Tönen zu entgehen, die mich verwirrten und mir kalte Schauer über den Leib jagten. Dann, während ein Augenblick Stille herrichte, war’s mir, als ob von fern Antwort herüberschallte – eine ebenso gräßliche, nicht wiederzugebende Reihe von tierischen Lauten; und, hob nicht auch mein gelber Belagerer da unten lauschend den Kopf, spitzte er nicht horchend die Ohren? Jetzt erhob sich der Leopard lauschend, streckte sich aus … und jetzt hörte ich’s ganz deutlich. Da drüben jenseits der Lichtung erklang’s: Hu … i … i … i … hu … hu …“

Kollege Körber trocknete wieder die Stirn und fächelte sich mit dem Taschentuch Kühlung zu. Er atmete schwer, und mitleidig meinte die kleine Frau v. Herhut: „Greift’s Sie so an? Sie Ärmster!“

Körber winkte lässig mit der Hand ab: „Ich bin ja mit dem Leben davongekommen, gnädigste Frau … aber die Erinnerung geht mir doch sehr, sehr nahe!“

Unsere Damen waren näher aneinander gerückt. In aller Augen konnte man die Spannung lesen, die die Gemüter beherrschte. Selbst der alte Oberförster blickte mit unverhohlenem Interesse den Erzähler an.

Körber begann nach kurzer Pause: „Lauschend stand also der Leopard unter mir; aber nichts störte die jetzt herrschende Stille. Da – plötzlich schnellte das Raubtier mit einem Satze, der mir so recht seine ungebeugte Kraft zeigte, in das nahe Gebüsch – ich hörte noch das Knacken einiger Zweige – dann nichts mehr – nichts … Schon glaubte ich mich befreit, hoffte, daß vielleicht einige Waldarbeiter nahten, die durch meine Hilferufe herbeigezogen waren und vor denen der Leopard flüchtig wurde, als – ja meine Herrschaften, als in meiner nächsten Nähe hinter dem grünen Blättervorhang ein Höllenkonzert begann – ein Heulen, Winseln, Miauen und Fauchen, als ob plötzlich eine ganze Menagerie ihr Getier dort hinter den Haselnußbüschen versammelt hätte und dieses Viehzeug, froh der ersehnten Freiheit, auf seine Art dem Schöpfer für seine Befreiung danken wollte. Aber ebenso plötzlich verstummte jeder Ton … Vorgebeugt horchte ich in den Wald hinein. Nichts als das Raunen und Rauschen der Blätter, das einschläfernde Säuseln in den Fichtennadeln und weit ab das Krächzen eines Eichelhähers, der durch die Baumwipfel strich … Minuten vergingen. Wieder begann mein Herz zu jagen. Ich hörte seine Schläge, hörte das aufgeregte Blut in den Ohren summen und fühlte, wie meine Nerven jetzt ganz streikten … Eine müde Gleichgültigkeit beschlich mich, nur ein Wunsch war noch rege in mir: Ruhe – Ruhe!

Ich merkte einen neuen Ohnmachtsanfall herannahen, sah das grüne Blattgewirr und die dunklen Stämme vor mir verschwimmen, das Waldbild begann sich langsam zu drehen, bis der durchsichtig klare Himmel unten schwebte, oben der Waldboden, von dem wie Eiszapfen von der Dachrinne die schlanken Fichten herabhingen … Weiter drehte sich das Bild … und dann erschienen darin zwei große, bewegliche gelbe Flecken, die wie die gespenstigen Gestalten einer Fata Morgana mit den Köpfen nach unten vorwärts huschten … Nochmals nahm ich meine ganze Willenskraft zusammen, biß die Zähne in die Lippen … der Schmerz rüttelte mich für Sekunden auf. Ich sah … ja, äffte mich ein Spuk, täuschte mich mein überreiztes Hirn? … ich sah zwei mordgierig funkelnde Augenpaare auf mich gerichtet … und jetzt … jetzt legte sich das eine Tier nieder, das andere, kleinere, blieb stehen und schlug mit dem langen Schwanz den Boden … Keine Täuschung … ich hatte zwei Leoparden vor mir … jenes Geheul aus der Ferne war die Antwort eines zweiten Raubtiers gewesen …

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die gelbe Gefahr (Reclams Universum, Jahrgang 33). Phillip Reclam jun., Leipzig 1917, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_gelbe_Gefahr.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)