Seite:Die historischen Volkslieder der Deutschen (Liliencron) I 213.gif

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Rochus von Liliencron: Die_historischen_Volkslieder_der_Deutschen_vom 13. bis 16. Jahrhundert Band 1


17

Der schiffer wol zu dem steuerman sprach:
„treib auf das ruder zur steuerbort an,
so bleibt der holich bei dem winde:
wir wöllen in laufen sein vorkastel entzwei,
das sol er wol befinden!“

18

Sie liefen im sein vorkastel entzwei.
„Trauwen!“ sprach sich Gödiche Michael,
„die zeit ist nun gekomen,
daß wir müßen fechten umb unser beider leib,
es mag uns schaden oder fromen!“

19

Störzebecher sprach sich allzuhand:
„ir herren von Hamburg, tut uns kein gewalt,
wir wöllen euch das gut aufgeben,
wolt ir uns stehen für leib und gesund,
und fristen unser junges leben.“

20

„Ja trauwen!“ sprach sich Simon von Utrecht,
„gebt euch gefangen all auf ein recht,
und laßet euch das nicht verdrießen!
habt ir dem kaufman kein leid getan,
des möget ir wol genießen!“


21

Da sie auf die Elbe kamen,
nicht vil gutes sie da vernamen
sie sahen die köpfe stecken.
„Ir herren, das seind unser mitgesellen!“
So sprach sich Störzebecher.

22

Sie wurden zu Hamburg in die hechte gebracht,
sie saßen da nicht länger denn eine nacht
all zu denselbigen stunden,
ir tod ward also ser beklagt
von frauwen und jungfrauwen.

23

„Ir herren von Hamburg, wir bitten
umb eine kleine bitte,
die kan euch nicht bringen groß quade;
daß wir den Traurenberg aufgen
in unserm besten gewade.“

24

Die herren von Hamburg teten inen die er,
sie ließen in pfeifen und trummen vorgen:
sie hetten das lieber entporen:
weren sie wider in der heidenschaft gewest.
sie hetten das wol gekoren.

25

Der henker der hieß sich Rosenveld
er hieb so manichen stolzen held
mit gar so frischen mute,
er stund in seinen geschnürten schuhen
bis zu den enkeln in dem blute.


18. Man möchte doch aus dem, was das Lied freilich jetzt nur undeutlich sagt, schließen, daß es nicht ungenau, sondern vielmehr sehr genau erzählt, indem es nemlich unmittelbar nach Stortebeckers, aber vor Godeke Michels Gefangennehmung und Hinrichtung gesungen ward, also letztere noch nicht zu berichten hatte. Wer weiß, ob nicht ursprünglich auf Str. 18 erst Godeke Michels Flucht folgte, die durch seine Aeußerung 18,2–5 recht hübsch spöttisch eingeleitet war. Daß das dann nachher, als Godeke Michels Gefangennehmung und Tod ebenfalls erfolgt war, bald nicht mehr begriffen ward und sich darum aus dem Gesang verlor, ist leicht begreiflich. 21,1. Als sie bei Hamburg am Grasbrock landeten, wo sich die Richtstätte befand. 22,1. hechte, hacht: Haft, Gefängniß.

Empfohlene Zitierweise:
Rochus von Liliencron: Die_historischen_Volkslieder_der_Deutschen_vom 13. bis 16. Jahrhundert Band 1. Verlag von J. C. W. Vogel, Leipzig 1865, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_historischen_Volkslieder_der_Deutschen_(Liliencron)_I_213.gif&oldid=- (Version vom 29.9.2019)