Seite:Die kaiserlichen Privilegien der Universität Marburg - Eine academische Rede.pdf/5

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in der christlichen Welt beherrschte. Diese Form hieß Scholastie, jenes subtile Gewebe von Speculation und Auctoritätsglauben, das zwar in seinen Hochpuncten auch eine Entfaltung des menschlichen Talentes bleibt, allein gerade damals in leeres Wortgefecht ausgeartet namentlich auf dem Gebiete der Theologie und Kirche die entsetzlichste Verödung und Verwüstung angerichtet hatte. In Wittenberg, der zuletzt in jener Reihe gestifteten Universität, war zwar der große Kampf schon durchgefochten, wo die Sentenzen des Lombarden und die Subtilitäten der Summisten dem lautern Worte Gottes hatten weichen müssen; allein die Anstalt selbst fand ihre Berechtigung doch immer noch in der Vorzeit, und deren bereits abgelaufenen Leistungen; ihr Bestehen war rechtlich nur durch Theilnahme an jenem traditionellen Faden der Bildung gewährt, so daß sich wesentliche Reste der alten Form selbst auch dort erhalten hatten, wie sich in der bald erneuerten Scholastic innerhalb der lutherischen Kirche hinreichend auswies. Dagegen die Stiftung Marburgs, als der ersten evangelischen Universität, brach jenen traditionellen Faden ab; hieher zog keine Erinnerung herüber, die sich auf Paris und die Scholastic zurückführen ließe, hier war es das reine Bedürfniß nach Bildung und wissenschaftlicher Leitung, der unverbrüchliche Bund zwischen dem Evangelium und der Wissenschaft, der eine neue Hochschule ins Leben rief. Ihre innere Berechtigung trug sie in sich selbst, in der Forderung geistiger Bildung, wie sie ein christlicher Staat an seine Glieder, so gebietende wie gehorchende, stellt; ihre äußere Gewährleistung hatte sie in dem Willen eines hochherzigen Fürsten, wie ihn Deutschland damals nicht weiter zählte. Nur ihr Bestehen zu Rechte in Deutschland neben ihren älteren Schwestern fehlte ihr, so lange nicht das Reichshaupt sie eintreten ließ in deren Reihen. Eben dieß geschah durch Verleihung der kaiserlichen Privilegien, zu deren 300jährigem Gedächtniß wir uns heute veranlaßt finden. Es war also ein Zugeständniß an die Sache der Reformation selbst, dessen Gewicht Niemand so zu schätzen