Seite:Die musterhafte Dame, kein Ideal.pdf/10

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

war, um ihr geliebtes Kind zu pflegen, um ihm, wo nicht Rettung, doch Linderung zu schaffen. Er war der Erstgeborne, er war ihr Liebling, aber doch nie zum Nachtheile und auf Kosten seiner Geschwister. Sie verließ den kleinen Leidenden nicht bis zu seinem Tode; – er starb unter ihren Augen, kaum drey Schritte war sie vom Bette; er wäre in ihren Armen gestorben, hätte nicht aus Besorgniß wegen dessen, was noch unsichtbar unter ihrem Herzen lag, ihr Gemahl sie vom Bette hinweggeführt. – – – Ihren Schmerz, ihren Jammer vermag keine Feder zu beschreiben. Zärtliche Mütter können ihn fühlen. Der Tod eines geliebten und hoffnungsvollen Kindes schlägt immer tiefere Wunden in dem weichen Mutterherze, als in jenem des Vaters. Männerherzen sind nicht so weich, nicht so reizbar. – Sie verließ von ihrem vorsichtigen Gemahle liebvoll gezogen auf einige Tage das Haus, sie zerfloß in Thränen; – der Schlag war zu heftig, die Wunde zu tief, der erste Ausbruch des Schmerzens mußte heftig und fürchterlich seyn, – aber sie ist Christin, vernünftige Christin, sie faßte sich bald wieder. – Die Briefe, die sie in diesem leidenvollen Zeitpuncte schrieb, sind kummervoll; – aber sie zeugen auch von edeln und ächten Christensinne. – – Sie hielt sich an den vesten Stab der Religion und sank nicht.

.
Empfohlene Zitierweise:
Anonym: Die musterhafte Dame, kein Ideal in: Journal von und für Franken, Band 5. Raw, Nürnberg 1792, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_musterhafte_Dame,_kein_Ideal.pdf/10&oldid=- (Version vom 31.7.2018)