Seite:Die preussischen Bürger des jüdischen Glaubensbekenntnisses 05.jpg

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nicht sein. Er muß dem andern Charakter entsagen, wenn er mit dem des Rechtsstaats in Widerspruch steht, denn den des Rechts kann er nicht entbehren, wenn er eben auf ein wahrhaftes Staatsleben Anspruch machen will.

Der preußische Staat nennt sich einen christlichen. Begründet dieser Name sich darauf, daß die größte Zahl seiner Unterthanen Christen sind, so kann man ihm nicht Wahrheit, aber alle Bedeutung absprechen. Oder darauf, daß nur die christliche Religion, zu der das Oberhaupt des Staates sich bekennt, Anspruch auf öffentliche Anerkennung und Unterstützung von Seiten des Staatsvermögens zu machen hat, dann kann man mit Recht dabei einen Eingriff in das Wesen des Rechtsstaates, dessen Aufgabe es ist für die äußern und innern Güter seiner Unterthanen auf gleiche Weise zu sorgen, beklagen. Wenigstens haben mehrere Staaten die Wahrheit dieser Forderung bestätigt, wenn sie neben den christlichen Confessionen auch die jüdische mit unter die vom Staate in den Ausübungen ihres Cultus zu unterstützenden zählen. Der preußische Staat scheint jedoch weder das Eine noch das Andere für den Begriff seines christlichen Staates zu nehmen; in beiden Fällen stände der Verwaltung obrigkeitlicher Aemter durch Juden nichts im Wege. Da aber eben des christlichen Staates wegen letzteres untersagt worden ist, da man also das christliche Dogma für etwas Unerläßliches bei allen Beamtungen des Staates ansieht, Rechtskenntniß und Wissenschaft nur, wenn sie von christlicher Lehre getragen erscheint, in praktische Wirksamkeit treten läßt, so kann man eben den christlichen Staat sich nur als einen solchen vorstellen, den das Christliche wie ein seelischer Stoff mit seinem Aether bis in seine innersten Funktionen durchdringt, der für seine Träger und Stützen christlichen Odem verlangt und jeden Pulsschlag des Staatslebens vom Hüter der Krone auf der Ministerbank bis zum Wächter nächtlicher Ruhe durch christliches Blut gethan haben will.

In einem Rechtsstaat darf aber keine andere Atmosphäre als die des Rechts verbreitet sein, keine, die wie die christliche für einen Theil der Staatsmitglieder Stickluft ist.