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Verschiedene: Die zehnte Muse

Der Gärtner und der Schmetterling.

Ach gönne mir das Glück, mein Leben frei zu enden!
So bat ein Schmetterling in seines Fängers Händen,
Noch wenig Tage sind zum Fliegen mir erlaubt,
Was hilft die Grausamkeit, die mir auch diese raubt?

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Du weisst, der Blumen Schmuck wird nicht durch mich versehret,

Ein unvermisster Saft ist alles, was mich nähret.
»Dein Flehen bringt mich nicht zu unbedachter Huld,«
Sagt ihm der Gärtner drauf, »stirb jetzt für alte Schuld;
Wollt’ ich der Raupe That dem Schmetterling vergeben,

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So wird sie hundertfach in deinen Jungen leben.«


     Auch bei der Bess’rung Schein befiehlt des Bösen Tod
     Das Uebel, das er that, und mehr noch, das er droht.

Abraham Gotthelf Kästner.
(1719–1800.)





Das Gelöbnis.

Will mir die Mädchen aus dem Sinne schlagen!
Gelobt’ ich mir. Doch als der Abend kam,
War’s Aphrodite, die im Fackelwagen,
Von Rosenduft und blauem Tau getragen,

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Herniederflog und mich beim Arme nahm:


Die sanfte Welt, in die ich Rosen streute,
Hat dein Gelöbnis wie ein Fluch entweiht!
Doch will ich wachen, bis dein Herz bereute –
Sieh’ hin, die Nacht ist voller Wunder heute,

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Und Schauer schweben, meinem Wink bereit …


*   *


Ich sah umher … Da stand in schwarzen Flören
Das bleiche Leid vor meinem weissen Haus.
Da kam ein Lied, wie Geigenton zu hören:
Man trug, umrauscht von tiefen Trauerchören,

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Auf schwarzer Bahre mich zum Tor hinaus.


Und dunkle Mönche, nächst dem Brückenbogen,
Flüsterten leise in die laue Nacht:
Ein fromm Gelübde, seiner Brust entflogen,
Hat ihm der Frauen holde Gunst entzogen!

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Das hat ein Bluten in sein Herz gebracht …



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Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/270&oldid=- (Version vom 31.7.2018)