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Verschiedene: Die zehnte Muse

Und weiter ging’s. Gewerbe um Gewerbe
Fand ich geübt und blickte kurz hinein;

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Dass keiner brütend innerlich verderbe,

Sollt’ ihm ein Schirm die rüst’ge Arbeit sein.
Wir kamen, mir zum Staunen, gar am Ende
In eine Schmiede: hell die Glut entfacht,
Und lauter Lärm, geschäftig alle Hände;

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Nur waren hier sie doppelt stark bewacht,

Damit die Hammerschwinger sich nicht irren
Und, von dem Drang nach Freiheit jäh erfasst,
Mit Wucht die Waffe lassen niederschwirren,
Zu brechen ihrer eignen Ketten Last.

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Jetzt waren in den Hofraum wir getreten,

Da – welch ein lieblich Bild erschloss sich mir!
Er war bepflanzt mit Rasen, Blumenbeeten,
Und alles prangte rings in farb’ger Zier.
So sah ich hier gepflegt nun auch das Schöne;

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Jedwedem Sträfling war gewährt die Gunst,

Dass er des Schaffens nimmer sich entwöhne,
Zu üben seine früh erlernte Kunst. – –
Der Boden stieg bergan gemach; von oben
Vermocht’ ich in die Fernen auszuschau’n:

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Da glänzten Bergeshäupter, duftumwoben,

Und schimmernd floss der Strom durch grüne Au’n
Die ganze Landschaft lag mir herrlich offen,
Als wie verklärt im lichten Sonnenbrand;
Ich stand bewegt, im Innersten getroffen,

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Bis ich zu dem Direktor mich gewandt:

»Was sollten die Gefangnen hier vermissen,
Wie sehnten sie sich in die Not zurück,
Wär’ eins nur nicht: das nagende Gewissen,
Und gäb’s nur ohne Freiheit je ein Glück!«

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»So ist’s!« Doch wer am schwersten wohl von allen

In diesen Mauern hinlebt Jahr um Jahr?
»Ich bin’s!« sprach jener, »dem das Los gefallen,
Zu walten über der Verlornen Schar.
Sie sah’n, mit welcher kühlen Handbewegung

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Ich früher die Gefangnen abgewehrt,

Wie unzugänglich jeder Herzensregung,
Als hätt’ ich mit Aussätzigen verkehrt.
So musst’ ich sein! Ich darf mich nicht erweichen:
Greift einer mir ans Herz auch noch so sehr,

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Verriet’ ich ihm’s nur mit dem kleinsten Zeichen,

Ich säte Zwietracht, und er büsst’ es schwer.
Ihn träfe noch zu allen seinen Bürden
Der lauernden Genossen Neid und Hass,

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Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/292&oldid=- (Version vom 31.7.2018)