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Walther Kabel: Don Pedros Kopf (Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Heft 8)

des Königs betrat, kam ihm dieser mit finsterer Miene entgegen.

„Herr Oberrichter,“ begann der jugendliche Herrscher, dessen Charakter aus den seltsamsten Widersprüchen zusammengesetzt war, „in der letzten Nacht ist in der Candilstraße ein Mord verübt worden. Euch dürfte das bekannt sein – nicht wahr?“

„Ein Mord? Nein, ich weiß noch nichts davon.“

„Da scheinen Eure Wächter ja bereits sehr in ihrem Pflichteifer nachgelassen zu haben.“

„Die Vorfälle der Nacht werden mir gemeldet werden, sobald ich wieder daheim bin,“ erklärte Pasquale ohne jede Empfindlichkeit.

„Ich wünsche binnen drei Tagen Bericht von Euch darüber, ob der Mörder entdeckt ist,“ sagte hierauf Don Pedro kurz und entließ den Oberrichter.

Dieser war kaum zu Hause angelangt, als auch schon mehrere Alguazils auf einer Bahre einen verhüllten Leichnam in den Hof trugen. Der Führer der Wächter berichtete, eine Patrouille sei vor etwa zwei Stunden durch die Candilstraße gekommen und dort auf die Leiche des Wächters Antonio Mendez gestoßen. Der Körper des Toten weise eine tiefe Stichwunde mitten in der Brust auf. Von dem Mörder habe man keine Spur gefunden, und auch die Nachfragen in den umliegenden Häusern seien ohne Erfolg geblieben. Niemand habe in der Nacht auffallenden Lärm oder sonst etwas Besonderes bemerkt.

***

Als Juan Pasquale nach drei Tagen wieder vor Don Pedro erschien, um ihm die befohlene Meldung zu machen, empfing ihn der König mit einem nichts Gutes verratenden Lächeln.

„Nun, Herr Oberrichter, wo habt Ihr den Mörder?“ fragte er.

„Es ist mir noch nicht gelungen, ihn zu entdecken,“ war die offene Antwort.

„Und Ihr habt auch keine Spuren gefunden, die Euch auf die Person des Täters hinführen könnten?“

„Bisher nicht.“

„Nun, Herr Oberrichter, so gebe ich Euch noch eine Woche Zeit,“ sagte der König. „Ist der Mord bis dahin noch nicht aufgeklärt, so fällt Euer Kopf! Ihr kennt ja die Bedingungen, unter denen Ihr Euer Amt übernommen habt.“

Damit war Juan Pasquale entlassen.

Sinnend schritt er durch die Straßen dahin. Er ahnte, daß die Höflinge, denen er mit seiner Unbestechlichkeit und strengen Gerechtigkeitsliebe ein Dorn im Auge war, Don Pedro gegen ihn aufgehetzt hatten, und daß der wankelmütige Sinn des jungen Herrschers längst vergessen hatte, welche Vorgeschichte die Ernennung seines neuen Oberrichters gehabt. Trotzdem war Pasquale keineswegs mutlos.

***

Wieder stand der Oberrichter vor seinem König.

„Nun,“ fragte dieser kalt, „wißt Ihr Neues über den Fall Antonio Mendez?“

„Ich kenne den Mörder,“ entgegnete Juan Pasquale.

Für einen Augenblick herrschte tiefe Stille in dem Gemach. Dann fragte der König weiter: „Und wer ist’s?“

„Ihr selbst, Don Pedro, König von Kastilien!“

„Habt Ihr Beweise?“ entgegnete der also Beschuldigte, der diese Antwort erwartet zu haben schien, höhnisch.

„Ich habe,“ erwiderte der Oberrichter, „mir die Frage vorgelegt, woher wohl Ihr selbst an jenem Morgen, als Ihr mich rufen ließet und mir von dem Verbrechen in der Candilstraße Nachricht gabt, schon zu so ungewöhnlich früher Stunde etwas davon erfahren haben könntet. Diese Frage erschien mir bedeutungsvoll genug, ihr mit aller Vorsicht, um Eure hohe Person nicht irgendwie bloßzustellen, auf den Grund zu gehen. Ich forschte Eure Dienerschaft in meiner Eigenschaft als Oberrichter aus und erfuhr so, daß Ihr in jener Nacht Euren Palast ohne Begleitung verlassen hättet. Weiter brachte ich heraus, daß Ihr in letzter Zeit häufig dem in der Candilstraße wohnenden Don Estreso nächtliche Besuche abgestattet habt. Die Möglichkeit, Ihr selbst könntet damals durch die betreffende Straße gegangen und dabei mit Antonio Mendez in Streit geraten sein, lag hiernach schon vor. Nun wurde zudem, wie Euch bekannt sein dürfte, das Signalhorn des ermordeten Wächters in einem mit einer Mauer umfriedeten Hofe gefunden, der dicht bei der Mordstelle liegt. An dem Haken dieses Hornes, der die Schnur zum Umhängen hält, hatte ich bereits am Tage nach dem Verbrechen ein Stück feiner, seidener Spitze entdeckt, das nur von dem Ärmelbesatz eines vornehmen Herrn herrühren konnte, und nach meiner Überzeugung dem Mörder beim Ringen mit seinem Opfer abgerissen worden war. Und dieses Stückchen Spitzenbesatz gehört zu demselben Gewand, das Ihr, Don Pedro, in jener Nacht nach der Aussage Eurer Diener getragen habt. Weiter stellte ich fest, daß keiner Eurer Bedienten und auch sonst niemand, mit dem Ihr an dem Morgen nach jenem Morde zusammengekommen wart, Euch etwas von dem verabscheuungswürdigen Vergehen erzählt hatte, auch nichts erzählt haben konnte, da nur meinen Wächtern das Geschehene bekannt war, und die Tat sonst keine Zeugen gehabt hatte. Woher also stammte Eure Wissenschaft – Die Antwort war hiernach gegeben: Ihr selbst hattet mindestens mit eigenen Augen gesehen, daß Antonio Mendez erstochen wurde, hattet es gesehen und doch keine Anzeige erstattet, zu der Ihr als König mehr denn jeder andere verpflichtet gewesen wäret! Und nun frage ich Euch, Don Pedro, auf Ehre und Gewissen: wenn Ihr selbst all dieses Belastungsmaterial gegen einen Mann zusammengetragen hättet, würdet Ihr diesen so schwer Verdächtigten nicht auch für den Täter halten?“

Don Pedro schaute finster zu Boden. Er schien mit sich zu kämpfen. Dann aber sagte er fest: „Ja, ich habe den Wächter getötet, aber nicht wie ein feiger Meuchelmörder, sondern in gesetzlicher Selbstverteidigung.“

„Es gibt keine gesetzliche Selbstverteidigung gegen einen Diener der Gerechtigkeit, der in Ausübung seiner Pflichten handelt!“

„Er trat mir in den Weg, weil ich eine Maske trug. Das ist richtig.“

„Also wußtet Ihr, daß Ihr Euch der Ausübung eines Gesetzes entgegenstelltet, das Ihr selbst genehmigt habt. Euer königlicher Rang, weit entfernt in diesem Falle eine Entschuldigung zu sein, hätte Euch belehren müssen, daß, je höher Ihr steht, um so erhabener Euer Beispiel sein sollte.“

Der König, getroffen von der Wahrheit dieser Worte, verharrte in finsterem Schweigen.

„Ich fordere Euch hiernach auf, Don Pedro von Kastilien,“ fuhr der Oberrichter würdevoll fort, „Euch morgen mittag auf dem Platze der Giralda einzufinden, um dort das Urteil zu vernehmen, das die Gerechtigkeit über Euch auszusprechen für gut finden wird.“

Die Hand Don Pedros zuckte nach dem Degen. Aber unter den auf ihn gerichteten ehrlichen Augen Juan Pasquales wandelte sich der Grimm bald in Bewunderung. Das Bewußtsein, in diesem unerschrockenen Richter einen seltenen Charakter entdeckt zu haben, ward um so stärker in Don Pedro, als er sich sonst nur von schmeichlerischen Höflingen umgeben sah, die dieser einfache Mann in seiner schlichten Größe weit an wahrem Wert überragte.

„Ich werde Eurer Vorladung Folge leisten, Herr Oberrichter,“ sagte er. „Ihr habt Euren eigenen König besiegt. Was Ihr mir vorwerft, ist berechtigt.“

***

Die Nachricht von diesem sonderbaren Vorgang hatte sich wie ein Lauffeuer in ganz Sevilla verbreitet. Die Vorladung des Königs vor das höchste Gericht, deren Ergebnis niemand voraussehen konnte, der Gehorsam Don Pedros gegen einen seiner Beamten, ganz besonders aber die Frage, in welcher Weise Juan Pasquale von dem königlichen Angeklagten Sühne verlangen würde – all das rief die lebhafteste Spannung hervor.

Schon von Tagesanbruch an versammelte sich eine ungeheure Menschenmasse auf dem Platze der Giralda, wo auf einem erhöhten Gerüst hinter einem schwarzverhangenen Tische der Gerichtshof Platz nehmen sollte, während rechts davon eine Holzstatue stand, die mit den Insignien des Königs bekleidet war und deren Gesichtszüge eine deutliche Ähnlichkeit mit denen Don Pedros zeigten.

Pünktlich zur Mittagstunde erschien zuerst der Gerichtshof in voller Amtstracht, umgeben von der Leibwache des Oberrichters, dahinter der Henker mit seinen Gehilfen. Mit ehrfurchtsvollem Schweigen empfing die Menge den Zug. Kaum hatten die Richter auf der erhöhten Bühne Platz genommen, als auch schon der König in Begleitung von zwei unbewaffneten Höflingen den Platz betrat. Man hatte allgemein erwartet, Don Pedro würde eine große bewaffnete Macht mit sich führen. Wie er nun so ohne alles Gepränge nahte, begrüßte ihn sein Volk mit jubelndem Zuruf, wie ihn Don Pedro noch nie so begeistert und anhaltend gehört hatte.

Aber ein dumpfer Trommelwirbel gebot Schweigen, als der König die Stufen zu dem Gerüst emporstieg.

Der Gerichtshof hatte sich von seinen Sitzen erhoben, als Don Pedro vor den schwarzverhangenen Tisch hintrat.

„Ich danke Euch, daß Ihr gekommen seid, Don Pedro von Kastilien,“ sprach Juan Pasquale mit weithin vernehmbarer Stimme. „Und ebenso werden Euch alle Eure Untertanen Dank wissen, weil Ihr Euch ebenso der Gerechtigkeit beugen wollt, wie der geringste Bettler es tun muß.“

Wieder lief lautes Beifallsrufen durch die Massen der Zuschauer wie das Branden einer starken See.

„Don Pedro von Kastilien,“ fuhr der Oberrichter fort, „Ihr seid angeschuldigt und überwiesen, an der Person des Scharwächters Antonio Mendez, während er sein Amt ausübte, einen Mord begangen zu haben. Und dieses Verbrechen verdient nach dem einmütigen Ausspruch des Gerichts – den Tod.“

Lautlose Stille folgte. Aller Augen waren auf den König gerichtet, der in zwangloser Haltung, aber bleichen Antlitzes dastand.

„Ich spreche folglich,“ fuhr Juan Pasquale nach kurzer Pause fort, „über Euch das Todesurteil aus. Da aber Eure Person geheiligt ist und niemand außer Gott, der Euch die Krone aufs Haupt setzte, Hand an dieses Haupt legen darf, so soll dieses Urteil an Eurem Bilde vollzogen werden. – Henker, tue deine Pflicht!“

Ein Schwertstreich – und der Kopf der mit den königlichen Insignien geschmückten Holzstatue fiel dumpf polternd auf das Gerüst herab.

„Jetzt,“ sprach Juan Pasquale weiter, „Soll dieses Haupt an der Straßenecke, wo Antonio Mendez getötet wurde, während eines Monats aufgestellt bleiben zur Erinnerung an einen König, der selbst gegen seine eigene Person der Gerechtigkeit freien Lauf ließ. – Ihr aber, Don Pedro, möget nunmehr in Euren Palast zurückkehren. Die Gerichtsitzung ist aufgehoben.“

„Halt!“ rief da der König, sich an das Volk wendend. „Hört, ihr Bürger von Sevilla, was ich euch noch zu sagen habe. – Juan Pasquale, würdiger Oberrichter, tretet hier neben mich und reicht mir die Hand. Ich habe eingesehen, daß ich die Leitung meiner Rechtspflege in der Tat keinem Würdigeren als Euch übertragen konnte. Ich bestätige Euch also in dem Amt, daß Ihr bisher so treu und unparteiisch verwaltet habt. Euer Spruch ist gerecht. Er werde vollzogen, wie Ihr befahlt, nur soll an jener Straßenecke mein in Stein ausgehauenes Haupt für alle Zeiten ausgestellt werden, damit die Nachwelt stets an den Gehorsam erinnert sei, den jeder, ob König oder Knecht, dem Gesetze schuldig ist!“

***

Noch heute kann man an der Ecke der Straße del Candilejo in Sevilla einen in einer Nische stehenden, aus Marmor gemeißelten Jünglingskopf sehen, von dem das Volk versichert, daß es derselbe sei, der im Jahre 1357 auf Geheiß König Pedros von Kastilien dort aufgestellt wurde.


Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Don Pedros Kopf (Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Heft 8). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1911, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Don_Pedros_Kopf.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)