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den Armen Sparsamkeit zu empfehlen, ist ebenso grotesk wie beleidigend. Es ist dasselbe, als wollte man einem Halbverhungerten empfehlen, weniger zu essen. Von einem Stadt- oder Landarbeiter wäre es unmoralisch, sparen zu wollen. Niemand sollte gewillt sein, zu zeigen, dass er wie ein schlecht gefüttertes Stück Vieh leben kann. Viele lehnen es denn auch ab, und ziehen es vor, zu stehlen oder aber ins Armenhaus zu gehen, was manche für eine Form des Stehlens halten. Was das Betteln angeht, so ist es sicherer, zu betteln als zu nehmen, aber es ist vornehmer, zu nehmen als zu betteln. Wirklich: ein armer Mann, der undankbar, unsparsam, unzufrieden und aufsässig ist, ist vielleicht eine wirkliche Persönlichkeit und hat viel in sich. In jedem Fall ist er ein heilsamer Protest. Was die tugendhaften Armen angeht, so kann man sie natürlich bemitleiden, aber es fällt schwer, sie zu respektieren. Sie haben sich mit dem Feind in Unterhandlungen eingelassen und ihre Erstgeburt für eine Bettelsuppe verkauft. Sie müssen auch aussergewöhnlich dumm

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Oscar Wilde: Drei Essays. Karl Schnabel, Berlin 1904, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Drei_Essays_Oscar_Wilde.pdf/24&oldid=- (Version vom 31.7.2018)