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Walther Kabel: Dummerle. In: Illustriertes Sonntags-Blatt. Beilage zum Delmenhorster Kreisblatt, Nr. 13, S. 97–99

Dummerle.
Aus einer jungen Ehe. Von W. Kabel.
(Nachdruck verb.)

Genau einen Monat waren wir verheiratet, als ich zum erstenmal merkte, daß Mela irgendein Geheimnis vor mir hatte. – Früher als gewöhnlich kehrte ich eines Mittags aus der Fabrik heim, schloß möglichst geräuschlos den Vorflur auf und schlich an die Tür der Küche, wo ich mein Frauchen um diese Zeit, so kurz vor dem Essen, bestimmt anzutreffen hoffte. Um eine Köchin halten zu können, dazu langte es bei uns vorläufig noch nicht. – Doch so sehr ich auch meine Augen anstrengte, – hinter den Milchglasscheiben regte sich nichts. Kein Schatten huschte eilfertig vorüber, auch nicht das leiseste Klappern von Töpfen und Tellern war zu hören. Und diese geradezu beängstigende Stille herrschte nicht nur in der Küche, sondern auch in den übrigen Räumen der kleinen Wohnung.

Während ich noch ahnungslos lauschend dastand, drang mir plötzlich ein Geruch in die Nase, der verzweifelte Ähnlichkeit mit den beißenden Düften stark angebrannten Fleisches hatte und fraglos aus der Küche kam. – Kein Zweifel, Mela hatte noch irgendeine Besorgung in der Nähe zu erledigen und war gar nicht daheim. Daß mittlerweile das Essen verdarb – mein Frauchen hatte am Morgen von geschmorten Kalbsrippen gesprochen –, ahnte die Ärmste gar nicht, die auf ihrem Gange vielleicht auch länger aufgehalten worden sein mochte, als sie wohl erwartete. –

Ein wahres Glück also, daß ich heute so vorzeitig erschien und daher das Schlimmste noch verhüten konnte.

Ohne mich weiter in acht zu nehmen, riß ich die Küchentür auf, schob schleunigst den Kochtopf, aus dem die verdächtigen Gerüche aufstiegen, von der Gasflamme herunter und öffnete dann beide Fensterflügel. Als ich mich wieder umwandte, stand Mela, noch im Hauskleid, vor mir und starrte mich mit weiten Augen wie eine Erscheinung an.

„Fritz … du …?!“ In dem Tonfall dieser beiden Worte lag alles andere, nur nicht freudige Überraschung. Deutlich hörte ich eine gewisse Verlegenheit, eine schlecht verhehlte Angst heraus.

Die Begrüßung zwischen uns war daher auch einige Grade weniger zärtlich als sonst. Noch nie hatten Melas weiche Lippen so flüchtig auf den meinen geruht. Vielleicht hatte ich mein kleines Dummerle durch mein Einschleichen wirklich erschreckt, vielleicht lenkte auch der Duft des angebrannten Fleisches ihre Gedanken ab. Denn daß auch ihr feines Näschen das kleine Pech sofort gewittert hatte, merkte ich daran, wie sie argwöhnisch die Luft einsog, während ich sie noch zärtlich umschlungen hielt. Und kaum hatte ich sie freigegeben, als sie auch schon an den Herd eilte und den Schaden in Augenschein nahm.

„Fritz – gieße doch eine Tasse Wasser zu“, bat sie in auffälliger Hast, „und schiebe nachher den Topf wieder über die Flamme.“

Damit war sie schon wieder hinaus. Kopfschüttelnd blieb ich zurück. – Ich wußte nicht, was ich von ihrem Verhalten denken sollte. – Was konnte denn nur drinnen in den Zimmern ihre Aufmerksamkeit so ganz in Anspruch genommen haben, daß sie nicht einmal Zeit fand, hin und wieder nach meinen geliebten Schmorrippchen zu sehen …? – Und warum kommandierte sie mich jetzt hier zur Hilfeleistung …? Etwa um noch ein Weilchen drüben allein zu sein und das verbergen zu können, was ihr mehr am Herzen lag als die tadellose Zubereitung unseres bescheidenen Mahles …?

Ebenso schnell, als sie kamen, vertrieb ich aber auch diese törichten Gedanken. Mela war treu wie Gold. Das wußte ich. Wir beide hatten sechs lange Jahre trotz des Widerstandes unserer beiderseitigen Eltern aneinander festgehalten und in dieser Zeit

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Dummerle. In: Illustriertes Sonntags-Blatt. Beilage zum Delmenhorster Kreisblatt, Nr. 13, S. 97–99. Greiner & Pfeiffer in Stuttgart, Delmenhorst 1916, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dummerle.pdf/1&oldid=- (Version vom 10.5.2018)