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Walther Kabel: Dummerle. In: Illustriertes Sonntags-Blatt. Beilage zum Delmenhorster Kreisblatt, Nr. 13, S. 97–99

Anliegen nicht belästigen dürfe. Sie ließ nicht locker, bat, schmeichelte und erreichte schließlich auch, daß wir beide einen regelrechten feierlichen Vertrag schlossen, der die Verpflichtung jedes von uns genau festlegte und dabei doch meine eigene Großmut und Opferfreudigkeit in das vorteilhafteste Licht setzte. –

Abends machte ich mich dann daran, Melas zweihundert Seiten starkes Opus durchzulesen. Ich bin nun der prosaischste Mensch, den es nur geben kann. Meinen einzigen Lesestoff bildeten seit Jahren ausschließlich technische Fachblätter und meine Zeitung. Um einen Roman auch nur einigermaßen beurteilen zu können, dazu fehlte mir so ziemlich alles. Trotzdem wollte ich wenigstens feststellen, ob mein Frauchen nicht gar zu törichtes Zeug zusammenfabuliert hatte. Von meiner Entscheidung sollte es dann abhängen, ob wir Seilmann ins Vertrauen ziehen oder ob … „Menschen abseits der Heerstraße“ einen wohl nur für Mela schmerzvollen Flammentod finden würden.

Meines Dummerle zierliche, übersichtliche Handschrift bereitete mir keine Schwierigkeiten. Ich kam also recht schnell vorwärts. Zunächst interessierte mich der Stoff herzlich wenig. Nur das eine merkte ich bald: Mela schrieb wirklich einen flüssigen, dabei scheinbar recht eigenartigen Stil. Manche Wendungen überraschten mich geradezu, nicht minder ihre Art, wie sie Naturschönheiten und Situationen plastisch darzustellen verstand. Doch bereits nach dem ersten Kapitel begann ich dann auch die Handlung mit größerer Aufmerksamkeit, bald sogar mit Spannung, zu verfolgen.

Es war fast zwölf Uhr geworden, als ich das Manuskript wieder in den blauen Deckel zurücklegte. Mein Frauchen, die bis dahin mäuschenstill bei ihrer Handarbeit[1] am Mitteltisch in meinem Arbeitszimmer gesessen hatte – sicherlich fiebernd vor Erwartung –, war jetzt mit wenigen Schritten an meiner Seite. Ich stand auf und schloß sie wortlos in meine Arme.

„Meinst du, daß er etwas taugt?“ fragte sie dann zaghaft.

„Nun, – bei einer kleinen Provinzzeitung wird Seilmann ihn wohl unterbringen“, erwiderte ich, ihr die heißen Wangen streichelnd. „Besonders, wenn wir noch das kleine Draufgeld zahlen“, setzte ich vorsichtig hinzu. Worauf Mela mir in überströmender Freude einen langen, langen Kuß gab.

***

Bereits am nächsten Tag machte ich mich dann mit dem sauber verschnürten Roman betitelt „Menschen abseits der Heerstraße“ auf den Weg zu Heinz Seilmann, nachdem ich mich durch telephonische Anfrage vergewissert hatte, daß ich den Freund auch auf seinem Redaktionsbureau antreffen würde.

Schweigend hörte Seilmann mir zu, als ich ihm die Entstehungsgeschichte des Romans mit allen Einzelheiten erzählte.

„Ich verlange nun insofern wohl nichts Unmögliches von dir,“ fuhr ich dann fort, „als ich der Redaktion des Provinzblättchens, der du durch deine Beziehungen vielleicht die Arbeit aufzwingst, noch hundert Mark für die Veröffentlichung des Romans bezahlen will, nur damit Mela sich gedruckt sieht und fortan ihrem Versprechen gemäß alle weiteren schriftstellerischen Versuche aufgibt. Es sind dies die hundert Mark, die ich mir zurückgelegt hatte, um meiner Frau davon zu ihrem Geburtstag eine Pelzgarnitur zu kaufen. Wie sehr Mela der Ehrgeiz plagt, ersiehst du schon daraus, daß sie auf die Garnitur sofort verzichtete, als ich ihr den Vorschlag machte, auf diese Weise die Drucklegung ihres Werkes durchzusetzen. Ich meine, für diesen Preis wird sich eine bescheidene Redaktion wohl bereit finden, den Roman anzunehmen.“

Gut, daß mein Dummerle die Antwort Seilmanns nicht hörte, sonst wären sie wohl für alle Zeiten geschiedene Leute gewesen.

„Wenn‘s nicht gerade allzu haarsträubender Unsinn ist, – sicher!“ sagte er gleichmütig. „Laß nur das Manuskript gleich hier. Bei Gelegenheit schaue ich mal hinein. Die hundert Mark schickst du mir, falls nötig, später zu.“

Da er wieder sehr beschäftigt schien, verabschiedete ich mich, nachdem ich ihn noch zu der kleinen Feier, die wir an Melas Geburtstag veranstalteten, eingeladen hatte. –

Seit der Roman nicht mehr im Hause war, hatte sich so manches bei uns geändert. Das tadellose Essen und Melas heitere Stimmung ließen mich schnell die kleine Verirrung meines im Grunde doch recht tüchtigen und wirtschaftlichen Frauchens vergessen. Von Seilmann hatten wir in den inzwischen verflossenen zwei Wochen nichts gehört. Da, kurz vor Melas Geburtstag, erhielt diese eine Postkarte von ihm mit der kurzen Mitteilung, daß er den Roman untergebracht habe und ich ihm daher die hundert Mark, wie vereinbart, einsenden möchte. Die liebe, törichte Verfasserin, die sich diesen Erfolg durch den Verzicht auf die langersehnte Pelzgarnitur erkauft hatte, strahlte vor Glück und trug höchsteigenhändig das Geld auf das nächste Postamt. Nie hätte ich gedacht, daß ein so unbezähmbarer, opferfreudiger Ehrgeiz in ihrem Herzen wohnte.

Wie ich dann am Geburtstage selbst mittags aus dem Dienst nach Hause kam, flog mir Mela im Korridor mit einem Jubelruf um den Hals.

„Du lieber, lieber Mann, du unglaublicher Verschwender …!“ rief sie mit vor Rührung tränenverschleierten Augen. „Und echt Skunks! Sie Garnitur muß ja eine Unmasse Geld gekostet haben!“

Ich bin überzeugt, daß ich in dem Augenblick wenig geistvoll dreinblickte. Melas Worte waren ja für mich lauter unlösbare Rätsel.

Jetzt erst sah ich, daß um ihre Schultern eine breite, dunkle Pelzstola lag und ihre Linke in einem kleinen Ungetüm von Muff steckte. Mein Gesichtsausdruck mußte meine Gedanken, meine Zweifel und Befürchtungen recht deutlich widerspiegeln. Denn Melas Arme sanken plötzlich matt herab. Und stockend fragte sie dann, mich ängstlich anblickend:

„Was hast du nur, Fritz? Du machst so ein …“

„… ja, ein Gesicht wie jemand, der diese Skunksgarnitur gar nicht gekauft hat; stimmt!“ meinte ich kleinlaut. Denn ihr diese Enttäuschung gerade heute bereiten zu müssen, fiel mir schwer.

„Aber … in dem Karton liegt doch eine auf deinen Namen ausgestellte quittierte Rechnung über dreihundert Mark“, stotterte sie. „Du willst mich wohl nur ein wenig zappeln lassen, du schlechter Mensch?!“ fügte sie dann hoffnungsfroher hinzu.

Ich schüttelte traurig den Kopf. „Dreihundert Mark …!! – Kind, wo sollte ich die wohl hergenommen haben! – Vielleicht führt hier in der Stadt ein zweiter meinen Namen. Nur so kann ich mir die Sache erklären.“

„Aber auf dem Karton steht doch unsere genaue Adresse. Komm, überzeuge dich selbst.“

Aber auch dadurch wurde ich um nichts klüger. Die Adresse stimmte, die Rechnung ebenso. Dagegen ließ sich nichts sagen.

„Nun, wir können ja auf sehr einfache Weise dahinter kommen“, meinte ich schließlich. „Ich telephoniere das Pelzgeschäft sofort an und bitte um Aufschluß über diese mysteriöse Geschichte.“

Diese Absicht sollte nie ausgeführt werden. Denn wie Mela nun auf das plötzliche Anschlagen der Flurglocke öffnen ging, hörte ich bis in mein Zimmer Seilmanns dröhnenden Baß, mit dem er „seiner lieben Frau Melanie“ herzlich gratulierte.

Kaum hatten wir uns dann begrüßt, als mein Freund schon mit einem schlecht unterdrückten Lächeln feierlich begann:

„Kinder – setzt euch, bitte! Ich habe euch nämlich eine Eröffnung zu machen, die euch vielleicht etwas aus dem Gleichgewicht bringen dürfte. – So, das ist brav. – Und nun, mein lieber Fritz, muß ich dich zunächst bitten, nie wieder dein Frauchen mit dem Kosenamen ‚Dummerle‘ zu benennen. Denn auf die Autorin eines Romans, der demnächst in unserer Zeitung erscheinen wird, und für dessen Erstabdruck wir unbesehen das übliche Honorar von sechzehnhundert Mark zahlen, paßt eine solche Titulatur, so lieb sie auch gemeint sein mag und so zärtlich sie auch aus deinem Munde klingt, auf keinen Fall.“

Seilmanns rundes Gesicht strahlte jetzt förmlich vor Übermut.

„Kinder, hört weiter … Die Pelzgarnitur habe ich auf eigene Verantwortung gekauft und zur Bezahlung die mir ahnungslos von euch eingeschickten hundert Mark mitverwandt. Die fehlenden zweihundert erlaubte ich mir auszulegen. Frau Melanie mag sie mir zurückgeben, wenn sie von unserer Kasse das Honorar erhalten hat – und das kann schon morgen nach Erledigung einiger kleiner Formalitäten geschehen. – Und nun, verehrteste Freundin, will ich meinem ersten Glückwunsch noch einen zweiten hinzufügen. Sie besitzen unbestritten ein starkes Talent. Ihre ‚Menschen abseits der Heerstraße‘ sind vollkommen druckreif. Ich selbst bin stolz darauf, diesen neuen Stern am literarischen Himmel entdeckt zu haben, dem ich mit diesem Handkuß meine Verehrung und Bewunderung, zugleich auch meinen aufrichtigsten Glückwünsch zu diesem ersten Erfolge ausspreche, dem noch recht viele weitere sich anreihen mögen.“ – – –

Dieser eine Geburtstag Melas wird mir unvergeßlich bleiben. Nicht etwa wegen der hohen Sektrechnung, die ich nachher zu bezahlen hatte, sondern weil ich, der Gatte des kleinen, lieben Dummerle, an jenem Tage der „Mann einer berühmten Frau“ wurde und wir seitdem viele, viele Köchinnen in lieblicher Abwechslung gehabt haben, von denen auch nicht eine meine Lieblingsgerichte so schmackhaft zuzubereiten verstand wie Mela, die jetzt nie mehr in die Küche kommt, dafür aber durch ihre literarische Tätigkeit reichlich ebensoviel verdient wie ich und trotzdem das geblieben ist, was sie mir war, – mein zärtliches, lustiges und glückliches … Dummerle.



  1. Vorlage: Handabreit
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Dummerle. In: Illustriertes Sonntags-Blatt. Beilage zum Delmenhorster Kreisblatt, Nr. 13, S. 97–99. Greiner & Pfeiffer in Stuttgart, Delmenhorst 1916, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dummerle.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)