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weit und frei hinaus in die Luft. Unter Beschwörungen in hindostanischem Zigeuner-Rotwelsch[WS 1] rollt er das Band auf und ab, und siehe da, ein paar blanke Auglein blitzen aus dem unten herabhängenden Ende hervor - das Leder beginnt sich zu winden, zu drehen, zu wölben, und mit triumphierendem Schrei schleudert der aufspringende Teufelskerl den erschreckten Zuschauern eine lebendige Schlange entgegen!

Auch dieses Rätsels Lösung ist sehr einfach.

Vor dem Künstler lag ein offener Sack, der seine dürftigen Geräte barg, und dessen Rand locker zusammengerollt war. Der Gaukler zeigt den Lederstreifen, hält ihn weit von sich, dreht ihn zur Prüfung hin und her — vorne nichts, hinten nichts! „O weh“, sagt er plötzlich mit gut gespielter Bestürzung, „ich habe ja ganz vergessen, daß ich inzwischen einen Mangobaum wachsen lassen soll!“ Dabei legt er das Lederband aus der Hand und wie zufällig auf den Sackrand; dann nimmt er ein paar Mangokerne aus dem Beutel, bohrt neben sich ein Loch in die Erde, steckt anscheinend einen vom Publikum gewählten Kern hinein, bedeckt ihn mit Erde und spricht eine Zauberformel darüber, auf daß der Kern treibe; in Wirklichkeit hat aber der Schlauberger einen bereits zum Keime angetriebenen Kern verscharrt. Dann fährt er in dem angefangenen Kunststück fort.

Beim Aufnehmen dieses Streifens zeigt er diesen zunächst nochmals in ruhiger Bewegung vor, senkt ihn dann wie zufällig auf den Sackrand, wobei er ihn geschickt mit einer ähnlich aussehenden in den Sackrand eingerollten Schlange vertauscht, die von seinem Arm einen Augenblick verdeckt bleibt, worauf er zuerst den Kopf der Schlange hervorzüngeln läßt und dann erst die ganze Schlange vorzeigt.

Um den berühmten „Mangotrick“ war es freilich für diesen Tag geschehen! Während nämlich der schwarze Schwarzkünstler seinen Schlangenzauber ausübte und den keimenden Mangokern sicher im Schoß der Erde wähnte, hatte ein auf dem Hofe herumsuchendes Hühnchen die frisch aufgewühlte Erde durchstöbert und den bereits angetriebenen Fruchtkern heimlich seitwärts in die Büsche verschleppt. Den gefiederten Dieb habe ich in flagranti photographiert, war jedoch schadenfroh genug, dem Magier die Aufklärung zu verschweigen, als er mit ganz verstörtem Gesicht vergeblich in der lockern Erde nach dem angekeimten Kern herumspähte. Ich tröstete den guten Mann nur mit der sehr geistreichen Bemerkung, daß es noch viel wertvollere Dinge zwischen Himmel und Erde gebe, die ebenso spurlos verschwänden, wie sein Mangokern.

Dem fahrenden Künstler schien es nunmehr in dem Hofe des deutschen Klubs nicht mehr recht geheuer vorzukommen; vielleicht meinte er auch, daß ich ihm in der Hexerei über sei, wenigstens machte er sich aus dem handhoch liegenden Staube, indem er mir giftig zurief: „Sir, Sie werden in Indien massenhaftes Geld verdienen, aber Sie werden damit niemals lebendig nach England zurückkehren!“ Daß es außer England noch andere Länder in Europa gibt, bleibt

nämlich den Hindus zumeist unbekannt, und ich galt ganz gewiß bei vielen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Rotwelsch: vergleiche Rotwelsch
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/127&oldid=- (Version vom 1.7.2018)