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da diese häufig angesichts ihrer völligen Unwissenheit diesbezügliche Fragen mit der Bemerkung abfertigen: „Ach, das ist ja alles Humbug und verdrehtes Zeug und nicht wert, daß man sich damit beschäftigt!“

Schon die körperliche Reinigung, womit die Zeremonie aus den Stufen des Tempelteiches eingeleitet wird, und die daraus folgende Abtrocknung mit Asche von verbranntem Dünger heiliger Rinder muß mit feierlicher Ruhe vollzogen werden, wobei, wie stets für den Hindu, die Materie ganz gleichgültig und nur die damit verbundene religiöse Idee von Belang ist; das unsauberste Wasser ist für die Hindus rein, sobald es durch die Erinnerung an seinen Ursprung reine religiöse Vorstellungen erweckt! Auf diese körperliche Reinigung folgt die andächtige und nur Brahmanenhänden erlaubte Bemalung der Stirn und anderer Körperteile mit den Tilaks, Pundras und Namas[WS 1], den von mir bereits im fünften Kapitel ausführlich beschriebenen Abzeichen der betreffenden Gottheiten. Hierauf wird der Schädelspiegel glatt rasiert, wobei von den Schiwaiten jedoch in der Mitte ein langer Haarschopf ausgespart wird, der später zu einem dicken Knoten aufgetürmt wird, demjenigen ähnlich, den der Gott Schiwa auf bildlichen Darstellungen zu tragen pflegt, und der die Idee ausdrücken soll, daß der Brahmane nach seinem Ableben an diesem Haarbüschel vom Gotte Schiwa in dessen Bereich emporgezogen wird, ohne gleich den Hindus minderer Kasten nochmals irgend ein Erdendasein durchmachen zu müssen.

So vorbereitet, beginnt der Brahmane seine eigentlichen Andachtsübungen, die auf Nicht-Hindus, denen die Gründe und Beziehungen dieser symbolischen Handlungen unbekannt sind, befremdend, manchmal sogar drollig wirken.

Zunächst wird das heilige Badewasser mit der hohlen Hand geschöpft, zum Munde geführt und, falls z. B. der Badende ein Wischnuverehrer ist, in 24 winzigen Portionen gurgelnd ausgeschlürft, wobei jedesmal einer der Namen der 24 Inkarnationen ausgerufen wird, in denen dieser Gott auf Erden körperlich erschienen sein soll. Diese zahlreichen, ganz verschieden gestalteten Verkörperungen ein und derselben Gottheit trifft die Schuld, wenn dem flüchtigen Beschauer die indische Mythologie viel verworrener und schwerverständlicher vorkommt, als sie in Wirklichkeit ist, und wodurch manchem die Lust benommen wird, sich überhaupt in dies scheinbare Labyrinth zu begeben. Vor Beginn dieses rituellen Tropfen-Schluckens wird, aber ebenfalls stets mit gemessener Andacht, der Hals durch Gurgeln mit Wasser gesäubert und ebenso ruhig und sorgfältig die Reinigung des Näschens mittelst Durchblasens von Luft durch die Luftwege der Nase vorgenommen, wobei die Nasenflügel gravitätisch mit Daumen und Zeigefinger abwechselnd zusammengedrückt werden; hierauf schöpft der Brahmane eine vorgeschriebene Anzahl von Malen tief Atem, den er solange wie möglich in der Lunge zurückzuhalten sucht. Bei dieser vorbereiteten körperlichen Reinigung muß aber beständig die beschauliche Sitzweise des Religionslehrers mit untergeschlagenen Beinen beibehalten werden, und erst wenn alle diese Vorbereitungen erledigt sind, darf das geheimnisvolle,

vieldeutige Wörtlein Aom![WS 2] über die Lippen des Brahmanen treten, das nicht

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Tilaks, Pundras und Namas: vergleiche Urdhva Pundra, sowie Anmerkung aus Kapitel 5
  2. WS: Aom!: vergleiche Om
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/151&oldid=- (Version vom 1.7.2018)