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niemals vor seinem Bade oder vor Beendigung seiner in streng ritualer Form eingenommenen ersten Mahlzeit und machte gar kein Hehl daraus, daß er, dem Kastenzwang folgend, nach meinem Abschied aus seinem Heim mit sich und seinem Hause allerlei religiöse Reinigungsprozeduren vornehmen müsse.

Die Entwertung von Nahrungsmitteln durch die Nähe von kastenlosen Parias oder Europäern geht erstaunlich weit; die ganze Mahlzeit eines Brahmanen wird ungenießbar und muß fortgeworfen werden, wenn auch nur der Schatten eines Europäers darüber hinglitt. Am weitesten gehen in dieser Hinsicht wohl die Mitglieder der besonders strengdenkenden Bikschu-Sekte[WS 1], die z. B. die ganze Reisladung eines Karawanenzuges als verunreinigt betrachten und den Parias schenken, wenn ein Kastenloser auch nur einen einzigen der auf die Kamelsrücken aufgepackten Reissäcke von außen angetastet hat! Kochgeschirre, Löffel, Gabeln oder gar Trinkgefäße zu allgemeinem Gebrauch, wie z. B. die bei uns üblichen Bierseidel, wären für den Hindu demnach ganz undenkbar; nicht der Gedanke an Unsauberkeit oder Ansteckung ist dabei maßgebend, sondern die Ungewißheit, ob sie nicht bereits von einem Menschen niederer Kaste oder gar von einem Europäer gebraucht worden sind. Selbst der bepackteste Kuli schleppt deshalb auch stets neben seiner Bürde noch seine zum Kochen, Speisen und zu den religiösen Begießungen erforderlichen schweren Bronzegefäße mit sich herum.

In der Wohnung des genannten Brahmanen durfte ich nicht zwanglos in alle Räume gehen, sondern mich nur in einer Halle im ersten Stockwerk aufhalten; sie stieß an einen gedeckten Gang, der rings um den offenen Hof des Gebäudes herumführte. Eine tamulische Dienerin, die mit ihrem allerliebsten kleinen Baby auf der Erde kauerte und auf einer der üblichen, aus zwei runden Mühlsteinen hergestellten tragbaren Handmühlen Weizen zerkleinerte, wollte natürlich, ebenso wie ein Töchterchen des Brahmanen und ein paar andere weibliche Wesen, bei meinem Erscheinen Reißaus nehmen, und sie waren nur schwer zu überreden, ihre Plätze beizubehalten .

Der Zweck meines Besuches in dem Brahmanenhause war etwas delikater Natur. Während der Brahmane mich in den Anlagen des Schiwatempels herumführte, hatte ich hie und da Gruppen von Tempelmädchen, von Dewa Dasis, erblickt, die mir zwar neugierig nachschautem aber stets die Flucht ergriffen, sobald ich mich ihnen zu nähern versuchte. Mein Brahmane versicherte mir, daß sie sehr in der Hochschätzung des Volkes sinken würden, wenn sie der von mir erbetenen Gefälligkeit entsprächen und sich von mir abkonterfeien ließen. Dreist und dickfellig, wie man es — ich weiß nicht, ob ich sagen soll „leider“ — durch Weltreisen wird, schlug ich dem gern zu jeder Hilfsleistung bereiten Brahmanen den höchst sinnreichen Ausweg vor, die gottgeweihten Tänzerinnen im geheimen in seine Privatwohnung kommen zu lassen, wo sie mir gegen annehmbares Honorar nicht nur einen ihrer heiligen Reigen zum

besten geben, sondern auch ungestört zu einem Bilde sitzen konnten. Unbedachtsamerweise fügte ich scherzend hinzu, er möge aber so gut sein, die Besten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Bikschu: vergleiche Bhiksu
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/153&oldid=- (Version vom 1.7.2018)