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einstellen konnte, ohne daß die von mir ins Auge gefaßte Person dadurch belästigt wurde oder diesen Vorgang ahnte. Ich konnte mit diesem Apparat, den mein Kuli dann wie einen Tornister festgeschnallt aus dem Rücken trug, gewissermaßen „um die Ecke“ photographieren, denn während ich ebenso wie der Kuli geradeaus sah, zeichnete die nach der Seite gerichtete Linse auf der vor mir liegenden Mattscheibe ab, was sich der Linse gegenüber zu meiner Seite ausbreitete; stand nun dort jemand, der mich und mein Hantieren, weil ich ihn nicht ansah, gar nicht beachtete, so konnte ich dessen Porträt durch leises Hin- und Herschieben des Kulis unablässig auf der Visierscheibe im Auge behalten, scharf einstellen und im geeigneten Augenblick unbemerkt aufnehmen. Aber freilich haben solche schikanenreiche photographische Ausnahmen in Indien, die zu einer Tageszeit gemacht werden müssen, wo die Sonne am heißesten brennt und in der sich die Europäer schattensuchend hinter kühlen Mauern aufzuhalten pflegen, eine ähnliche Wirkung wie türkische Bäder.

Ich hatte meinem liebenswürdigen Beamten-Adjutanten gelegentlich und fast wie im Scherz gesagt und ohne mir dabei Hoffnung auf die Erfüllung meines Wunsches zu machen, daß es mir besonderes Vergnügen machen würde, die wegen ihrer Kunstleistungen in besonderem Ansehen stehenden Tänzerinnen von Dschodpur bewundern und abbilden zu dürfen; ich ahnte nicht, daß ich dadurch eine der merkwürdigsten Überraschungen meines Lebens heraufbeschwor.

Erschöpft von dem nächtlichen Platten-Wechseln und -Verpacken, das in Indien das Photographieren wegen der zur Nachtzeit am beutegierigsten herumschwirrenden Moskitos besonders lästig und aufreibend macht, schlief ich etwas länger als gewöhnlich und hätte gewiß trotz der bereits hell ins Zimmer lachenden Morgensonne noch länger fortgeschlummert, wenn mich nicht ein ganz merkwürdiges Geräusch, ein ganz seltsames Schellengerassel mit dem Quietschen und Quarren von Wagenrädern vermischt, ermuntert hätte; das Geräusch schien aus weiter Ferne näher und näher zu kommen, aber dicht vor der Bungalohalle hörte es plötzlich auf.

Neugierig fuhr ich in die Kleider und lugte zur Türspalte hinaus. Ich glaubte einen Märchentraum lebendig werden zu sehen! Vor dem Bungalo hielt eine schier endlose Reihe von Karren, durchweg mit Rindern bespannt, deren Geschirrglocken jenes Schellengeklingel hervorgebracht hatten und deren rundum heruntergelassene purpurrote Vorhänge verraten hätten, daß es sich hier um einen Damentransport handele, wenn mir dies nicht die an allen Ecken unter den Gardinen hervorkriechenden Insassen gezeigt hätten, deren Geschwätz, Gekicher und Schmucksachengeklimper einen Ohrenschmaus abgab, vor dem niemand sein eigenes Wort zu verstehen vermochte. Schlaftrunken und gänzlich ohne Frühstück, wie ich war, wurde mir nicht allein bunt, sondern geradezu wirr und schwach vor den Augen, als mir die Wortführerin der Damen klar machte, daß sie das gewünschte Ballett-Corps — viel lieber schriebe ich Kohr[WS 1] — seien und ich nun gefälligst anfangen möchte, Bilder zu machen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Corps / Kohr: vergleiche Corps de ballet, die Schreibung „Kohr“ folgt wohl zeitgenössischen „Sprachreinigungs“-Bestrebungen z.B. des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/179&oldid=- (Version vom 1.7.2018)