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sogar öfter aufs Haupt geschlagen als die Mahratten, die neben den Radschputen und Sikhs die tapfersten brahminischen Hindus als Kriegerkaste umschlossen; selbst die englische Macht wäre gegen sie ohnmächtig gewesen, wenn nicht Uneinigkeit der Führer und Treubruch seitens der Mietssoldaten schließlich den Engländern die Besiegung der Mahratten ermöglicht hätte. Die wichtigste Mahrattenhauptstadt Gwalior liegt kaum zweihundert Kilometer südlich von Agra und darf als ein Glanzpunkt des vormaligen brahminischen Indiens den eben behandelten Sitzen einstiger mohammedanischer Macht und Pracht an die Seite gestellt werden.

Der zur Zeit des indischen Aufstandes in Gwalior regierende Maharadschah[WS 1] glaubte den ewigen Dank der Engländer zu verdienen, wenn er die Ausbreitung des Sipeu-Aufstandes in seinem Staat nach besten Kräften einzuschränken suchte; als Dank mußte er es dulden, daß die Engländer seine für uneinnehmbar geltende Felsenfestung während der Zeit des Aufstandes besetzten, diese Besetzung aber ganz aus Versehen bis zum Jahre 1885 ausdehnten, und die Feste nur gegen Zahlung einer Summe von einigen Millionen Rupien auslieferten; ebenso zufällig war die Burg inzwischen entwertet worden, indem in der Nähe Gwaliors bei Morar eine englische Garnison mit weittragenden Geschützen untergebracht worden, dagegen den Truppen des Maharadschah von den Engländern eine veraltete Bewaffnung vorgeschrieben worden war! Die Uneinnehmbarkeit der Festung war dadurch ebensosehr zur leeren Phrase geworden, wie der dem Fürsten zugestandene Titel der „Unabhängigkeit“. Tatsächlich war das Festungsschloß nie mit Sturm und Gewalt, sondern stets durch Verrat und List eingenommen worden.

Zum Besuche dieser Burg hatte mir der Maharadschah Madodschi Rao Scindia[WS 2] einen seiner prächtigsten Elefanten geliehen. Es geschah das vielleicht als Erkenntlichkeit für einige Ratschläge, die ich ihm, einem wißbegierigen Amateurphotographen, gesprächsweise geben konnte, während er mir seine in wahrhaft fürstlichem Maßstabe angelegte Dunkelkammer und seinen pompösen Durbarsaal zeigte.

Der Besuch bei diesem Maharadschah, einem der angesehensten unter den indischen Fürsten, wird mir aus mancherlei Gründen unvergeßlich bleiben. Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß an einem gewissen Tage des Jahres 1896 ein großer Durbar stattfinden würde und hatte auch die Erlaubnis erhalten, daran teilzunehmen. Ich freute mich unsagbar auf diese voraussichtlich überaus reiche Festversammlung indischer Großer und die damit verknüpfte Gelegenheit zur Aufnahme außergewöhnlich interessanter Porträts; frühzeitig machte ich mich auf den Weg nach dem Dschai Indar Bhawan-Palaste.[WS 3] Unterwegs verlor jedoch der Wagen, worin ich zu dem Durbar eilte, ein Rad, sodaß ich einige Verletzungen davontrug und ein Aufenthalt entstand, der die für den Durbar angesetzte Zeit vollständig verschlang.

Als endlich mein Wagen vor dem äußeren Palasttore anlangte, kam mir

bereits der endlose Zug hoher Herren entgegen, der sich noch fortwährend

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Maharadschah in Gwalior 1857: vergleiche Jayajirao Scindia, regierte 1843-1886 (en)
  2. WS: Madodschi Rao Scindia: vergleiche Madho Rao Scindia, regierte 1886-1925 (en)
  3. WS: Dschai Indar Bhawan: konnte nicht identifiziert werden. Der Hauptsitz Scindias, wo häufig Durbars stattfanden, war eigentlich Jai Vilas Mahal.
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/210&oldid=- (Version vom 1.7.2018)