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unter lebhaftem Geräusch innerhalb des Schloßhofes ordnete und in Bewegung setzte. Ich sah auf den ersten Blick, daß hier von Bildermachen keine Rede sein konnte. Es war nicht statthaft, daß mein Wagen oder ich selbst an dem mir aus dem Tor entgegenflutenden Gewühl vorbeizukommen versuchte, und so blieb mir nichts anderes übrig, da eine Aufstellung des Apparates hart vor dem Tore weder schicklich noch möglich war, als alle diese ganz fabelhaft kostümierten Gestalten und abenteuerlichen Charakterköpfe der vornehmsten lebenden Mahratten an mir vorüberziehen zu sehen, ohne auch nur eine einzige dieser Figuren im Bilde festhalten zu können.

Wagen mit drei Insassen in Gwalior.

Doch nicht nur die Erscheinungen der Festteilnehmer grenzten durch die trotzig-verschlagene Eigenart mahrattischer Gesichtszüge und des kühnen Geschmackes in Kleidung und Turbanwicklung ans Wunderbare, auch die Art, wie die Herrschaften fortbewegt wurden, um sich von Gwalior aus über alle mahrattischen Gebiete zu zerstreuen, war so abwechslungsreich und phantastisch wie möglich. Ein wanderndes Museum so merkwürdiger, nie gesehener Transportwerkzeuge in Gestalt von Wagen und Karren, Sänften, Tragstühlen und Hängematten bewegte sich im Geschwindschritt an mir vorüber, daß ich, untätig in meinem Wagen stehend, sicherlich ein ganz verzwicktes Gesicht geschnitten habe; standen mir vor ohnmächtigem Grimm über dies nie wieder gut zu machende Mißgeschick Tränen in dem einen Auge, so strahlte gewiß das andere vor heller Freude über dieses ganz unvergleichliche, echt indische Schauspiel. Ich mußte mich bezwingen, nicht mit Gewalt die Träger der oft lächerlich winzigen Palankine aufzuhalten, weil ich solche Beförderungsmittel bis dahin ebensowenig für denkbar gehalten hatte, wie die Möglichkeit, daß so reiche, hochstehende Herren in für Europäer ganz unerträglichen Stellungen und mit stets untergeschlagenen Beinen die weitesten Reisen machen können. Die Fuhrwerke aller Klassen des Mahrattenvolkes lassen überhaupt alles an Bequemlichkeit vermissen; wie es z. B. der umstehend abgebildete reisende Greis fertig bekommt, in seiner engen Droschke sogar noch eine verschleierte Dame im Schoß zu halten, ist mir unfaßbar, dagegen begreife ich, daß der Kutscher auf der Deichsel kauern muß, um zu verhüten, daß das Pärchen das Übergewicht bekommt und mit dem ganzen Fuhrwerke nach hinten umkippt.

Unter diesem Widerstreit von Verdruß und Jubel langte ich bei dem Maharadschah an, der mich in seiner Art zu trösten versuchte, aber mit sichtlicher Verstimmung es nicht begreifen zu können schien, daß mich die Herrlichkeit seines Prunksaales, der dem eines venezianischen Palastes nachgebildet ist, ziemlich kalt ließ und daß mich alle darin angehäuften Kristallkronleuchter, seidenen Vorhänge, Gobelins und kostbaren Spieluhren nicht für die mir entgangenen Modelle zu entschädigen, ja nicht einmal zu reizen vermochten, eine einzige photographische Platte dafür anzulegen.

Es würde eine mächtige Abhandlung erfordern, wollte ich die sich bei meinem Ritt nach der jetzt unbewohnten Burg darbietenden Architekturbilder zu beschreiben versuchen. Die zwischen den fünf Torwegen liegenden Felswände,

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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/211&oldid=- (Version vom 1.7.2018)