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Brahmanen zu trotzen und dieses Heiligtum zu betreten, ohne eine unstillbare Volksraserei heraufzubeschwören.

Sanyassis, „Leidenschaftslose“,
im Begriff sich als Klausner in die Einsamkeit zu begeben.

In diesem Nonn bringen betagte Mitglieder gewisser Hindusekten zwölf Tage mit Verehrung des Lingam-Idols und anderen Kultushandlungen zu, die von Benares als Sanyassis hinausziehen wollen, als „Leute, die freiwillig alles hinter sich gelassen haben“, die auf ihren weltlichen Besitz und alles Entbehrliche, was das Leben schmückt oder angenehm macht, verzichten wollen, um ihre Tage fortan unter einem heiligen Banyanbaum oder in einer einsamen Schlucht als entsagungsvolle Klausner in Gedanken an das höchste Wesen zu beschließen. Die auf dem Bilde sitzenden Männer sind sämtlich derartige Sanyassis vornehmer Herkunft, die ich nur mit der Aufbietung meiner ganzen Überredungsgabe bewegen konnte, mir zu diesem Bilde zu sitzen. Einst im Vollbesitz aller Glücksgüter schwelgend, wandern diese Asketen von hier aus in die Einsamkeit: eingehüllt in das baumwollene Tuch, in dem sie nach dem Ableben verbrannt zu werden wünschen, oder auch vollkommen nackt, eine Kette von Fruchtkernen um den Hals, mit deren Hilfe sie die Zahl der von ihnen gemurmelten Puranastrophen feststellen, auf der Schulter ein zum Nachtlager dienendes Antilopen- oder Leopardenfell und in der Hand die Bettlerschale, die Lota, aus der sie während des Bades das Wasser über Kopf und Schultern gießen, so ziehen sie davon; ein stützender Stab ist ihnen nicht vor dem sechzigsten Jahre erlaubt.

Paribrajakacharya Sri Bhashkaranand Saraswati Swami,
ein wegen seiner Bedürfnislosigkeit und beständigen Versenkung in das höchste Wesen als heilig verehrter, wundertätiger Jogi in Benares. Hinter ihm das vom Fürsten Sri Bal Madhab Sing von Amiti im „Garten des Glücks“ errichtete Marmorbild des Heiligen.[WS 1]

Eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten dieser Art hat sich nach einem sehr bewegten Wanderleben bei Benares in der Nähe des von jedem Reisenden mit besonderer Neugier besuchten Affentempels niedergelassen, dessen in erschreckender Zahl sich vermehrende Insassen zwar nicht durch Töten, wohl aber von Zeit zu Zeit durch Abschieben auf eine unbewohnte Insel vermindert werden. Auch in diesem Falle habe ich bemerkt, wie verschieden ein und dieselbe Erscheinung zu wirken vermag. Einen verdrehten alten Narren titulieren diesen hochbetagten Swami Bhaskarananda Saraswati sehr respektslos die einen, während ihn andere, ähnlich den Hindus, beinahe wie einen zum Gott Gewordenen verehren, entzückt von dem milden Greisenblick, mit dem dieser aus vornehmsten Verhältnissen stammende Asket über die Nichtigkeit aller materiellen Glücksgüter und Genüsse predigt; damit sich aber die ihn in seiner Einsamkeit Aufsuchenden nicht nur nach seinen Worten sondern auch nach seinen Taten richten können, beschränkt er seine Kleidung auf nichts und seine Mahlzeiten auf die denkbar schmalsten Bissen streng pflanzlicher Kost. Fast unaufhörlich von Hindus besucht, die der Ruf seiner Heiligkeit und der schon durch seine Berührung bewirkten wunderbaren Krankenheilungen anzieht und die, wie die auf dem Bilde bei ihm weilenden, häufig hohen Ranges sind, sitzt dieser Verkörperer der Lehre Salomos: „Es ist alles eitel!“[WS 2] in Hitze und Regen

inmitten des prächtigen „Gartens der Glückseligkeit“ vor einem Sandsteinpavillon, in dem sich seine ihm von einem reichen Gönner geschenkte Marmorstatue befindet; auch diese zeigt die von ihm beständig beibehaltene, uns höchst

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Paribrajakarcharya Sri Bhashkaranand Saraswati Swami, Sri Bal Madhab Sing von Amiti, Garten des Glücks: konnten nicht identifiziert werden. Eine mögliche Parkanlage nahe des Durga Mandir ist heute der Ram Baagh.
  2. WS: alles eitel, vergleiche Bibel: Prediger 1,2. (auch: omnia vanitas)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/232&oldid=- (Version vom 11.7.2018)