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Loch nachfüllend, in gleichem Takt mit den anderen Frauen auf dem unteren größeren Steine herum. Alle diese Weiber tragen an Stahlringen hölzerne Klötzchen um den Hals, auf denen die Art ihres Vergehens und die Dauer ihrer Kerkerstrafe zu lesen ist; in weiße Tücher sind die „leichteren“, in orangegelbe sind die bösartigeren Verbrecherinnen gekleidet, die sich hier jedoch nur vorübergehend aufhalten, da sie mit dem nächsten Transport außer Landes geschafft werden, gewöhnlich nach den Andamaneninseln[WS 1], wo sie bald dem Sumpffieberklima erliegen. Dies ist auch eine beliebte Maßregel, unbequeme oder gefürchtete Leute loszuwerden, die man kein Recht hat, hinrichten zu lassen, wie z. B. jene Birmanen, die bei der Verteidigung ihres Vaterlandes eingefangen wurden.

Im Spinnhause.

In dem angrenzenden Spinnhaus erregt eine derartige Orangedame unsere Aufmerksamkeit; auch sie soll morgen wegen der Ermordung ihrer beiden Töchterchen in die Strafkolonie abgeschoben werden, doch für heute hat man ihr die zweifelhafte Wohltat vergönnt, ihr kleines Söhnchen auf einige Abschiedsstunden in ihren Kerker zu lassen. Nicht bewußte Verderbtheit, sondern altindischer Kastenzwang haben die Frau zur Verbrecherin gemacht. Kastengebräuche geboten ihr, die einstige Vermählung der genannten Töchter mit einem für ihre Mittel ganz unerschwinglichen, sie ruinierenden Aufwand zu feiern, der Aberglaube aber raunte ihr zu, daß sie sogar ein gutes Werk tue, wenn sie die kleinen Mädchen vor dem Bilde des elefantenköpfigen Gottes Ganesch in einem Kessel mit siedender Milch ertränkte, da sie zum Lohne dafür diese beiden Kinder nochmals als Knaben gebären würde. Ganz allgemein wurden in früheren Zeiten, namentlich in der Radschputana den Brahmanen beträchtliche Geldopfer erlegt, damit sie halfen, den unerwünschten Überfluß an Mädchen auf solche Weise zu vermindern.

Flüchten wir uns aus diesen Zellen des Lasters und des Elends hinaus ins Freie! Wie kühlt hier draußen das milde Grün der im Abendwind wogenden Mohnfelder unsere noch von den sonnendurchglühten, lehmgelben Kerkermauern geblendeten Augen.

Die Mohnkultur und Opiumfabrikation hat zwischen Benares und Ghasipur[WS 2] ihren Hauptsitz. Mein Bild zeigt eine Hindufrau, die gerade unreife, grüne Mohnköpfe mit einem aus fünf schmalen Eisenklingen zusammengebundenen

Messer einkerbt; der nach Verlauf einiger Stunden herausperlende Saft wird

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Andamanen: vergleiche Andamanen
  2. WS: Ghasipur: vergleiche Ghazipur
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/243&oldid=- (Version vom 1.7.2018)