werden, und keine Hindufrau erhebt gegen das Wort des Mannes irgend welchen Widerspruch; solange der Hausherr im Hause weilt, wagt keine weibliche Stimme sich darin laut vernehmen zu lassen. Erst wenn der Mann das Haus verlassen hat, dürfen die Frauen etwaige kleine Meinungsverschiedenheiten untereinander nach Gefallen zum Austrag bringen.
Die ungesunde patriarchalische Form der Gesamtfamilie, wo alle Nachkommen und jeder Zuwachs derselben, und wären es selbst hundert Familienangehörige, in demselben Hause beisammen wohnen bleiben, war ebenfalls dem alten Hindutume, das nur die Einzelfamilie kannte, durchaus fremd. Wenn aber diese naturwidrige Lebensweise nicht häufiger zu Unverträglichkeit und Trennung führt, so ist daran nur die gutartige Charakteranlage der Hindus, zumal der unendlich geduldigen, sanftmütigen und nachgiebigen Frauen schuld.
Die Hindufrau ist die verkörperte Weiblichkeit mit allen daraus entspringenden Vorzügen und Schwächen; sie ist ganz Zärtlichkeit, Hingebung und Güte, selbst in den arbeitenden, unteren Klassen, die der Reisende fast ausschließlich zu sehen bekommt und deren Vertreterinnen naturgemäß fast nie schön, sondern gewöhnlich unsagbar abgearbeitet aussehen, trotzdem aber auffallend graziös und gewandt erscheinen. Aus diesem Grunde kann man gar keine zärtlichere Kinderfrau finden als eine indische Aya[WS 1]. Die sorgenlos lebende Hindufrau dagegen, die über ausreichende Bedienung verfügt und ihre Körperschönheit pflegen kann, muß nach den wenigen Beispielen, die ich selbst zu sehen das seltene Glück hatte, von vollendetem Liebreiz sein. Schon in einer alten indischen
Schöpfungssage werden die Vollkommenheiten und die Reize
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ WS: Hindi आया, Lehnwort aus dem Portugiesischen, aia)
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/264&oldid=- (Version vom 1.7.2018)