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Der Familienbrahmane teilt nunmehr vierzehn Halme von Kusagras[WS 1] in zwei Hälften, die er in die Hand des inzwischen mit einem Kopfputz aus Gold und Silberflittern geschmückten Bräutigams legt, träufelt dann Gangeswasser hinein und hält sie segnend fest, indem der Schwiegervater auf die Ehe bezügliche, glückwünschende Mantraverse herspricht. Hierauf streut der Priester Blumen und Reis aus einen Metallteller, auf dem ein Nachen als Sinnbild der weiblichen Eigenart eingraviert ist, während der darin aufgerichtete Mastbaum für den Hindu ähnlich wie das Lingam das Symbol der Männlichkeit ist. Nun legt der Brahmane die Hand der Braut auf die ihres Gatten, umwindet beide Hände mit einer zarten Blumengirlande und läßt sie so zusammen auf dem Kupferteller ruhen, während der Vater des Mädchens unter Namensnennung der beiderseitigen Vorfahren und Eltern dem jungen Mann seine Tochter zuspricht, worauf dieser erklärt: „Ich habe sie erhalten!“ Nach diesen Worten löst der Schwiegervater die Blütenkette, besprengt das Paar unter Segenswünschen mit Gangeswasser und verknüpft ihre Seidengewänder als Zeichen der nunmehrigen Unzertrennlichkeit mit einem Zeugstreifen, worin eine bestimmte Menge von Betelnüssen und Samenkörnern eingeknüpft sind. Alsdann verhüllen die anwesenden Frauen das junge Paar mit einem dünnen Tuch, indem sie die Braut ermuntern, sich darunter zu entschleiern und ihrem Gatten, häufig zum ersten Male, ins Auge zu schauen.

Bronzeteller für Hochzeitsblumen. ¼.

Die hierauf vollzogenen und am folgenden Tage genau wiederholten abergläubischen Zeremonien müssen uns kindlich oder töricht erscheinen, wenn wir ihre sinnbildliche Bedeutung nicht kennen; nicht alle erklären sich selbst so deutlich, wie das Berühren der Lippen des Bräutigams durch die Mutter seiner Frau zuerst mit einem Vorlegeschloß und dann mit Figürchen aus Zucker, um ihn zu bitten, das Frauchen mit bösen Worten zu verschonen und ihr nur Süßes und Angenehmes zu sagen.

Das oft noch im kindlichen Alter stehende Paar wird nach dem Bekränzen und Verabschieden der so lecker wie möglich bewirteten Gäste von den weiblichen Verwandten in das Basarghar[WS 2], in das „Gemach des glücklichen Paares“, eingeführt und zum Ruhen eingeladen; die dabei zwischen Braut und Bräutigam gepflogene Unterhaltung wird natürlich mit gespannter Aufmerksamkeit belauscht und gibt Anlaß zu ausgelassener Heiterkeit der Frauen, die den jungen Leuten

durch allerlei Scherze und Überraschungen keinen Augenblick Ruhe lassen, so

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Kusagras: vergleiche Desmostachya bipinnata (en)
  2. WS: Basarghar: bengalische Tradition, heute auch als Bashorghor transkribiert
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/281&oldid=- (Version vom 1.7.2018)