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Als ich gerade eines dieser tausendmaschigen, wundervoll gerafften Blätternetze betrachtete, die dort die Natur wie ungeheure Zaubermäntel von Ast zu Ast, von Wipfel zu Wipfel geworfen hat, schien sich etwas leise zwischen den Fäden dieses Flechtwerks zu regen; dann guckte hier ein Händchen, dort ein seltsam munteres, lebhaftes Äuglein und darüber ein drolliges, haariges Köpfchen unter den Blättern hervor, und ehe ich mich noch besinnen konnte, was für eine Sorte von Waldgeistern das wohl sein mochte, sprang urplötzlich gleich einer ungeheuren, rauschenden Flutwelle von zahllosen braunen Körpern eine riesige Affenherde aus ihrem grünen Versteck hervor und verschwand mit eiligen, langen Sprüngen in den dichten Blätterkulissen einer benachbarten Baumgruppe. Dann herrschte wieder Mäuschenstille im Wald; jeder der tausend Affen hockte wieder unkenntlich irgendwo im Dickicht und beobachtete mich vermutlich von dort aus aufs schärfste.

Ich stand noch ganz verblüfft unter der Nachwirkung dieses ganz unerwarteten Schauspiels, das für mich bei schlechter Laune der Herren Affen übel genug hätte ablaufen können, als es abermals in den Büschen krachte und knackte und kaum hundert Schritte vor mir zwei herrliche, weißgefleckte Hirsche in mächtigen Sätzen quer über den Weg sprangen. Ich ging mit einem der inzwischen herangekommenen Kulis den Spuren der Tiere entgegen und stieß bald auf einen verendeten Hirsch gleicher Art, mit zerrissener Gurgel und fürchterlichen Krallenspuren am ganzen Körper. Doch an welcher Stelle der verfilzten Laubmasse lauerte jetzt die vermutlich durch unser Nahen verscheuchte Bestie? Über mir, hinter meinem Rücken, rechts oder links von mir? Ich schoß aufs Geratewohl meinen Revolver ab, hörte aber aus den dichten Blätterklumpen statt des Geräusches eines davonspringenden schweren Tieres nur das höhnisch klingende Krächzen eines Vogels! Die Kulis begrüßten den Hirsch als willkommene Beute und nahmen ihn mit nach Bitschako, wo wir erst in später Nacht eintrafen.

In Bitschako befand sich zwar ein Unterkunftshaus für Reisende, das aber wie die meisten dieser Pauas[WS 1] in einem so nichtsnutzig verräucherten und unsauberen Zustande war, daß ein Übernachten darin eine Strafe gewesen wäre. Ich ließ deshalb mein Zelt auf einem gegenüberliegenden Hügel aufschlagen und machte dann, müde wie ich war, bei den auf der Lichtung verteilten Lagerfeuern der Kärrner die Runde, um für den nächsten Tag einen Ersatz für zwei fieberkrank gewordene Kulis aufzutreiben; mein einziger Erfolg bestand in dem Erwerb eines räudigen, lendenlahmen Ponys, der auch richtig am folgenden Tage unter der Last seiner beiden Kulibürden zusammenbrach. Zu abgespannt, noch ein großes Abendessen herzurichten, griff ich zu meinen Nothelfern, einigen Aleuronatbiskuits und ein paar Stückchen Kolaschokolade,[WS 2] schlief aber noch während des Knabberns ein.

Wäre ich nicht durch jahrelange Abhärtung ein fast unermüdlicher Fußgänger geworden, so hätte ich sicherlich am folgenden Tage die Flinte ins Korn geworfen und Nepal Nepal sein lassen. Jedenfalls gebe ich dem Naik in

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Paua: möglicherweise von पाहुना (Hindi/Nepali), pahuna = Gast
  2. WS: Aleuronat, Kolaschokolade: vergleiche Aleuronat; koffeinhaltige Schokolade
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/300&oldid=- (Version vom 1.7.2018)