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offene Tragstühle, sogenannte Dändis[WS 1], bereitgehalten würden, da ich nur in solchen über die kaum wegsamen Gebirgspässe nach Groß-Nepal hinübergeschafft werden könnte. Allerdings hatte ich noch eine gute Strecke bis Bhimpedi zurückzulegen, und der einbrechende Abend überraschte mich einsam im dichtesten Walde; ohne gerade allzu ängstlich zu sein, war ich doch froh, als ich aus diesem Jagdgebiet der Tiger und Rhinozerosse glücklich heraus war und die ersten Hütten von Bhimpedi erreichte.

Während des Wartens auf die Kulis hatte ich hinreichend Zeit, in die offenen Häuschen der Eingeborenen zu blicken und, ohne selbst gesehen zu werden, deren glückliches, heiteres Familienleben zu beobachten. Mit welcher Zärtlichkeit stopfte dort beim Schein des auf dem niedrigen Herde flackernden Feuers die braune Mama ihrem Baby den Reis in das Mäulchen, während der Herr Papa sich von dem Töchterchen den bronzefarbigen Körper massieren und dann mit Senföl einsalben ließ! Doch weit bedeutender war das Schauspiel, das draußen der Talschluß hinter Bhimpedi bot, und das die gewaltigen Eindrücke dieses Tages aufs beste krönte.

Es war gerade Anfang Dezember, also die Zeit, wo der Maharadschah seine jährliche Tigerjagd abzuhalten pflegt, wobei ich gleich einschalten möchte, daß der Maharadschah nicht etwa mit dem König oder Mahara Dhiradsch von Nepal zu verwechseln ist. Ganz im Gegensatz zu anderen monarchischen Staaten nimmt man hier von dem Könige, namens Krithmi Viri Vikram Sah[WS 2], der nur eine Repräsentationsrolle spielt, viel weniger Notiz als von seinem allmächtigen Premierminister, eben dem Maharadschah Bir Schum Scherkana Bahadur[WS 3], der alle Zügel der Regierung in den Händen hält, während sich Se. Majestät den Freuden dieser Welt mit Inbrunst hingibt, sich nur selten in die Angelegenheit des Durbars einmischt und sich damit begnügt, ab und zu bei pomphaften Feierlichkeiten als dekoratives Schlußstück des Staatsgebäudes zu prangen.

An dieser Jagd des Maharadschah nimmt häufig der König, aber stets eine ungeheure Menschenschar teil, Höherstehende als Jagd- und Lagergefolge, Soldaten und Bauern als Treiber und Jagdhelfer, ganz abgesehen von den zahllosen Kulis und den Sklaven, die es in Nepal tatsächlich noch gibt. Diese Jagdgehilfen hatten nun in dem prächtigen Waldkessel, der bei Bhimpedi den Talschluß bildet, ihre Lager bezogen. In zahllosen unregelmäßigen Staffeln loderten ihre Lagerfeuer zwischen den Baumgruppen auf, und wo nur irgend eine kleine Lichtung oder ein glatter Felsblock ein Plätzchen zum Niederlassen bot, da dampfte auch ein Kessel, um den sich phantastisch beleuchtete Gruppen scharten, die schwatzten und lachten, schmausten und rauchten. An jedem dieser Flammenherde herrschte ein vollsaftiges „Freut euch des Lebens!“ und erfüllte den ganzen Talkessel mit brausendem Stimmengewirr, mit Sang und mit Klang. Die Kokosschale voll Rakschi[WS 4] d. i. Reisschnaps ging von Mund zu Munde, ebenso die Wasserpfeife, Sängerinnen kreischten, Hände klatschten, Trommeln dröhnten, Pfeier quiekten — kurz, es war ein Zigeunerlager allerbuntester

Art! Von allen Höhen schallte der Jubel zu mir herunter, aus der Tiefe des

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Dändi: in anderer Literatur meist Dandy
  2. WS: Krithmi Viri Vikram Sah: vergleiche Prithvi Bir Bikram Shah Dev (regierte 1881-1911)
  3. WS: Maharadschah Bir Schum Scherkana Bahadur: vergleiche Bir Shumsher Jang Bahadur Rana (regierte 1885-1901)
  4. WS: Rakschi: vergleiche Raksi
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/304&oldid=- (Version vom 1.7.2018)