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Handapparat in Bewegung zu setzen, aus dem Hinterhalt auf die lieblichen Opferlämmer zu zielen und meuchlings Feuer zu geben.

Ich muß gestehen, daß ich mich meiner Handlungsweise schämte und wahrscheinlich fürchterlich räsonieren würde, wenn jemand meine Herzallerliebste heimlich auf die Platte brächte. Aber erstens: „Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen, wenn er sich gleich dem Tode näher spinnt!“ heißt es ja wohl im Tasso, [WS 1] und dann sind schließlich photographische Negative für einen Reisenden, noch dazu für einen, der naturgemäß vom Neid nicht verschont bleiben kann, oft wirksamere Belege, als die heiligsten Eide.

Der Wächter des Haremszuges.

Leider lenkte mein blitzender Kodakapparat[WS 2] die Aufmerksamkeit der Haremsdamen und ihrer Eunuchenumgebung auf mein Versteck. Blitzschnell hielten sich die Schönen ihren Sonnenschirm vor die Augen oder ließen die Vorhänge ihrer Tragstühle herunter, doch zum Glück so, daß wenigstens die reizenden kleinen Händchen draußen blieben, über die sie Handschuhe aus schwarzen Seidenfäden gezogen hatten, deren Kreuz- und Knotenpunkte mit blitzenden Steinen geziert waren. Gleichzeitig kam der Wächter ganz entrüstet auf mich zugeeilt, der bisher auf einem erhöhten Platz gestanden hatte, um jede Annäherung fremder Männer fernzuhalten. Mit höflichem Lächeln hielt ich ihm meinen Paß entgegen, aber wütend erklärte er, daß ich mich solchen Bildermachens in Nepal zu enthalten und vor allen Dingen das aufgenommene Bild herauszurücken hätte. Ich bedauerte unendlich, daß er zu früh käme, da das Bild wirklich noch nicht fertig sei, versprach auch, diesen Apparat nie wieder in Nepal zu gebrauchen, schwieg aber behutsam von meiner sonstigen photographischen Ausrüstung. Mit wachsender Keckheit fügte ich dann hinzu, daß ich, sobald ich nach Katmandu käme, mich beim Durbar über sein unhöfliches Benehmen beschweren würde. Ganz verblüfft über meine Zuversicht zog der oberste Wächter der holden Weiblichkeit ab, während mir keineswegs sehr wohl zu Mute war. Wenn in dem verschlossenen Lande Nepal meine photographischen Versuche ferner soviel Widerstand fanden, hatten alle photographischen Vorrichtungen, die ich auf der Reise

mit mir schleppte, herzlich wenig Wert für mich. So hatte ich an einem einzigen Tage zwei für mich denkwürdige Begegnungen mit der sonst so unnahbaren

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Tasso: vergleiche Torquato Tasso (Goethe), 5. Akt, 2. Auftritt.
  2. WS: Kodak: vergleiche Kodak.
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/314&oldid=- (Version vom 1.7.2018)