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zu trinken, das er in dem geheimnisvollen Tempel über das Lingamidol des furchtbaren Mahadeo gegossen hat und das dadurch heilig geworden ist. Obgleich mich mein gastfreundlicher Babu vor dem Besuche dieses stets von Fanatikern belebten Tempels warnte, konnte ich doch nicht der Versuchung widerstehen, die für die Anhänger des Brahminentums heiligste Stelle von ganz Nepal kennen zu lernen, an der bereits im dritten Jahrhundert v. Chr. die Tochter des buddhistischen Königs Asoka dem Ganesch, dem elefantenköpfigen Gotte der Weisheit, also einer brahminischen Gottheit, den Dandeotempel erbaute, der vorzugsweise von unheilbar Aussätzigen aufgesucht wird. Diese von Buddhisten auch anderen Gottheiten des brahminischen Kultus erwiesene Verehrung sollte jedenfalls zu einem versöhnlichen Nebeneinandergehen der beiden Newarikulte beitragen, ein Streben, das auch an dem größten Feste der Newaris zu Tage tritt, indem der Karren, worauf der „vierte“ Buddha in seiner Erscheinung als Machendranath herumgefahren wird, mit den drei Augen Schiwas oder Mahadeos bemalt ist, dessen Avatarform in Nepal jedoch den Namen Bhairab führt, während seine Gemahlin als Kala Bhairab verehrt wird.

Mein Weg führte mich von meinem Schutzhause aus in nordöstlicher Richtung durch eine Reihe zusammenhängender ärmlicher Dörfer nach Paschpattinath, dessen über alle Erwartung großartige Tempelbauten ich aber erst bemerkte, als ich die daneben über den Bagmati führenden Brücken erreichte.

Der Tempel des fünfköpfigen Lingam zu Paschpattinath,
die heiligste Stätte für den brahminischen Teil der Bevölkerung von Nepal.

  • [WS 1] Brücken über den Bagmati-Fluss.
  • Pilger-Rasthaus oder Vilhara.
  • Der auf S. 283 größer dargestellte Sadhu.
  • Vor dieser Treppe befinden sich die auf S. 280 abgebildeten, zum Bagmati führenden Bade-Stufen.
  • Das Außentor der Tempelanlage.
  • Das silberne Tor, hinter dem sich das fünfköpfige Lingam befindet.

Ohne mich dort lange aufzuhalten und die in so früher Morgenstunde besonders zahlreich versammelten Pilger und Brahmanen durch meine Neugier zu erzürnen, ging ich gelassen über diejenige der beiden Brücken, an die sich auf dem anderen Ufer eine aus 111 Stufen gemauerte Treppe anschließt, und stieg auf dieser in einen mit zahlreichen kleinen Gedächtnistempeln durchsetzten Wald, den Mrigasthalihain,[WS 2] hinauf. Ich irrte mich nicht in meiner Voraussetzung, daß ich von dort aus unbemerkt auf den bewaldeten Hügel gelangen könne, der dem auf einer Halbinsel an der anderen Seite des Bagmatiflusses erbauten Tempel unmittelbar gegenüberliegt. Noch ehe sich meine beiden Wächter ganz klar werden konnten, ob sie mich gewähren lassen dürften oder nicht, hatte ich im Schatten jener Bäume bereits meine stattliche Kamera aufgestellt und das hier abgebildete Panorama der Tempelanlage aufgenommen. Zum besseren Verständnis dieses Panoramas will ich gleich hinzufügen, daß unmittelbar vor der Treppe, die zum Außentor des Tempelhofes hinaufführt, der Bagmatistrom fließt, wie dies auf dem als Kopfleiste eingeschalteten Bilde ersichtlich ist; die Stufen rechts von den drei Kapellen, die Götterbilder enthalten, gehören zu dieser Treppe, die auf dem Panorama gerade vor dem Beschauer zu dem Außentor des Tempels hinaufführt; das für alle brahminischen Hindus mit Kastenrang geöffnet wird. Das eigentliche Tempeltor dagegen, dessen in Silber getriebene Verzierung besonders schön ausgeführt und durch ganz Indien berühmt ist, darf nur bei hohen Festen vom höchsten Brahmanen, dem Radsch Guru, durchschritten werden; dieser opfert dann dort dem Lingam, das in

dem Tempelinneren als Sinnbild Mahadeos steht und das dem Tempel

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Bildanmerkungen waren mit Pfeilen versehen und wurden nach Commons übertragen
  2. WS: Mrigasthalihain: auch als Mrigasthali Forest bezeichnet
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/359&oldid=- (Version vom 31.7.2018)