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in Augenschein zu nehmen pflegen, der Aufenthalt verleidet wird. Für brahminische Schwärmer dieser Art ist die Bezeichnung Fakir nicht am Platze, sondern je nach der Art der Bußübung einer der vorhin aufgezählten Namen, während das Wort Fakir einen mohammedanischen Fanatiker bezeichnet.

Weißgepuderter Büßer.

Wenn ich das beigefügte Bild nicht selbst photographiert hätte, würde ich es kaum für möglich halten, daß es tatsächlich Hindus gibt, die unausgesetzt Tag und Nacht mit tief zur Erde herunter gebeugtem Körper dastehen und dabei mit den zusammengekrallten Fingern die Erde berühren, bis der ganze Mensch in dieser gekrümmten Stellung gewissermaßen erstarrt ist, bis seine Arme ausdörren, die Nägel der Finger durch das Handfleisch wachsen und bis das Haar wie ein dicker Vorhang über das Gesicht herüberwächst! Die verehrungsvollen Besucher des frommen Mannes haben dann große Mühe, das Haar zur Seite zu legen, um ihm Reis, Erbsen, Früchte, Gebäck oder andere Lebensmittel in den Mund zu stopfen, die auf einem Deckchen vor ihm niedergelegt werden. Andere wieder ziehen es vor, stets einen Arm — oder gar beide — mit geballter Faust in die Höhe zu strecken.

Tiefgebückt stehender Bairagi-Büßer.

Der tiefste Sinn all dieser uns wahnwitzig vorkommenden Selbstquälereien ist die urbrahminische Anschauung, daß die Seele des Menschen nach dessen Abscheiden in eine Form übergeht, die den letzten Gedanken des oft doch ganz unvorbereitet vom Tode Ereilten entspricht, also beim Wutergrimmten in einen Tiger; beim Sanften in eine Taube oder gar eine Blume. Die Büßer aber wollen durch ihr beständiges Schweigen und ihre Leistungen die Geduld und Inbrunst dartun, mit der sie unablässig an gar nichts anderes als an ihre Gottheit und das derselben abgelegte Gelübde denken, durch festen Willen über alle menschlichen Leidenschaften

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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/365&oldid=- (Version vom 4.7.2018)