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und Wünsche zu triumphieren, sich durch reuevolle Selbstqual zu reinigen und zur Erkenntnis der geistigen Güter der Menschheit zu gelangen, um kein nochmaliges irdisches Dasein durchmachen zu müssen. Schon beim Denken und Hersagen von heiligen Versen der Gayatri-Dichtung[WS 1] ist jeder Brahmane verpflichtet, sich die Ohren mit Baumwolle zu verstopfen, die Augen zu schließen, mit den Fingern der linken Hand das linke und nach einem tiefen Atemzuge durch das rechte Nasenloch auch dieses mit der Rechten zuzudrücken, um während dieser Gedanken völlig ungestört nur die Gottheit allein zu empfinden. Von welcher Hoheit und dichterischen Kraft aber diese Mantras erfüllt sind, geht z. B. aus folgender Strophe hervor:

Auf einem Bein kauernder Bairagi mit erhobenen Händen.

Wer ist der, dessen Größe dies Gebirg’,
Das Meer verkündet mit dem fernen Strome,
Des Arme sind die Himmelsregionen,
Wer ist der Gott, dem wir mit Opfern dienen?

Über ein Feuer gebeugter, auf einem Bein stehender Bairagi.

In diese Gruppe der Stellungsbüßer, wenn ich sie so respektswidrig nennen darf, gehört auch der hier dargestellte, der wirklich ein Künstler genannt werden darf, denn es gehört schon immerhin einige Akrobatenkunst dazu, unentwegt auf einem einzigen Beine zu hocken, während der Unterschenkel des anderen in die Kniekehle dieses Standbeines eingeschlagen ist. Der Umstand, daß vor jedem dieser Asketen ein Deckchen ausgebreitet ist, auf das die staunenden Mitbürger Kupfermünzen oder Lebensmittel niederlegen, die dann der für den Büßer sorgende Guru mit sichtlicher Gier einsammelt oder beiseite schafft, legt freilich den Gedanken nahe, daß oft genug

weniger ein tiefreligiöser Entsagungs- und Selbstbeherrschungsdrang

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Gayatri: vergleiche Gayatri Mantra
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/366&oldid=- (Version vom 2.7.2018)