Seite:Durch Indien ins verschlossene Land Nepal.pdf/367

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

als vielmehr der Wunsch nach einem arbeitslosen und doch einträglichen, noch dazu vom Nimbus des Märtyrertums verklärten Leben für verworrene Köpfe den Anlaß zu einem so romanhaften Dasein geben mag; hierfür spricht auch die Tatsache, daß der mit kleinen Fähnchen gekennzeichnete Platz, an dem sich ein solcher Bairagi aufgehalten und gezeigt hat, nach seinem Weggange oder Tode an denjenigen Büßer, der am meisten dafür bietet, verpachtet wird.

Andere Büßer nehmen die Schmerzen zu Hilfe, die stechende, schneidende oder brennende Gegenstände hervorbringen können, um ihre Gleichgültigkeit gegen die Leiden dieser Welt zu beweisen — oder um die mitleidige Freigebigkeit ihrer Landsleute anzurufen. Bairagis, die auf den scharfen Spitzen langer eiserner, aus einem Brett aufragender Nägel kauern oder liegen, sich an scharfen, durch die Rückenmuskeln gezogenen Haken an Gerüsten von mehr als zwölf Meter langen Stangen aufhängen und daran hin- und herschwingend bei den Festen hinter den Tempelkarren durch die Städte fahren lassen oder die gleich den Schinto-Feuerpriestern in Japan und den Wundermännern auf den Fidschi-Inseln über glühende Holzkohlen einhergehen,[WS 1] dürfen sich zwar neuerdings in Indien nicht mehr öffentlich zeigen; solche aber, die unausgesetzt über ein Feuer gebeugt dastehen, habe ich wiederholt gesehen. Der von mir vorhin photographisch wiedergegebene ist deshalb besonders bemerkenswert, weil er gewissermaßen noch in der Ausbildung begriffen ist, das heißt, er stützt das eine Knie und seine Arme auf ein an Seilen hängendes Trapez, bis er gelernt hat, vollkommen frei auf dem anderen Beine zu stehen und sich dabei von den vor ihm brennenden Holzscheiten schmoren zu lassen; manche dieser Büßer, oder genauer deren Wärter, richten sogar heimlich Affen ab, neues Brennmaterial nachzulegen, was ihnen in den Augen des Volkes vermehrte Heiligkeit verleiht.

Es steht fest, daß sich in Südindien bei den zu Ehren der Bhadra Kali[WS 2] veranstalteten Schwingfesten arme Leute gegen gute Bezahlung dazu hergegeben haben, sich zur Wiederherstellung Kranker oder zur Entsündigung Verstorbener eine halbe Stunde und länger in der vorhin geschilderten Weise schwebend um den Tempel herumfahren zu lassen; zuvor war es üblich, das Opfer durch reichlichen Genuß von Toddy zu berauschen und durch Schläge auf den Rücken dessen Fleischteile zum leichteren Einführen der Haken möglichst stark anschwellen zu lassen, doch wurden gewöhnlich neben den Haken auch noch ein paar Gurte zum Erleichtern der Körperlast angebracht. Auch bei dem Schwingen eines an den Füßen aufgehangenen Asketen über einem Feuer sind allerlei Vorbereitungen üblich, um diesen nach Möglichkeit zu schonen. Wie ich wohl bereits früher einmal erwähnt habe, sind die Schlingen, in denen die Füße eines derartigen Büßers stecken, gepolstert und so weit, daß der Büßer die Unterschenkel hindurchstecken und in den Kniekehlen hängen kann, wenn ihm das Feuer gar zu nahe kommt, auch wird ihm von seinem Guru ein Tuch

glatt über den Haarschopf und Schädel gebunden, das dann ebenso wie der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Schinto-Feuerpriester, Fidschi-Wundermänner: vergleiche Feuerlauf. Neben Indien ist diese Praxis traditionell aus Japan und Polynesien bekannt. Trotz entsprechender Selbstreinigungsrituale auch für Laien gibt es keine „Feuerpriester“ im Shintoismus.
  2. WS: Bhadra Kali: vergleiche Bhadrakali (en)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/367&oldid=- (Version vom 2.7.2018)