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an und begann eine der Gebetsmühlen aus Leibeskräften zu drehen. Ein steinalter, in eine violette, zerzauste Filzdecke gehüllter Lama hatte mir aber bei diesem frevelhaften Tun scharf auf die Finger geguckt und sogleich herausgefunden, daß ich die Gebete „gegen den Strich“ ableierte, denn ich drehte die Blechtrommel nicht in derselben Richtung um ihre Achse, in der die Tibetaner auch um den Tempel marschierten, das heißt nicht dem scheinbaren Sonnenlaufe folgend. Ich merkte daraus, daß man selbst in dem fernen Nepal gut täte, alles genau so zu machen, wie alle anderen, drehte meine Mühle sofort nach der anderen Richtung und gewann durch diese schwungvolle Leistung, vielleicht auch durch die gummielastische Bereitwilligkeit, mit der ich meine Verdrehung gut machte und „mit dem Strome“ schwamm, die Gunst des alten Herrn im violetten Wettermantel und der mich allmählich umringenden Tibeter. Als ich dann meine große Kamera aufgebaut und den oberen Lamas vergönnt hatte, unter das Dunkeltuch und auf die Mattscheibe zu blicken, und als diese der staunenden Menge versicherten, daß jeder von ihnen auf dem Kopfe stände, da quietschten Männlein und Weiblein laut auf vor Vergnügen, und als ich zum Schluß gar noch ein Dukatenmännchen[WS 1] und sonstigen Hokuspokus auskramte, der mir auf meinen fünf Asienreisen oft hilfreicher als Pistolen und Knuten gewesen ist, da war des Jubels, das heißt des Zungenheraussteckens, kein Ende.

Durch das mich umgebende neugierige Gedränge kam ich bald in die Lage des von seiner eifersüchtigen Gattin allzu aufmerksam bemutterten Malers Seekatz in Gutzkows Königsleutnant[WS 2] und zu seufzen: „Was kann doch zu viel Liebe für eine Qual sein!“ Die Geister, die ich gerufen hatte, wurde ich nicht los,[WS 3] und fast wurde es unmöglich, in der unsagbar duftenden Menschenmasse den nötigen Abstand frei zu bekommen, um die verwettertsten Gestalten unter diesen wüsten Tibetern herauszusuchen und aufzunehmen. Namentlich lag mir daran, einen Bettelmönch abzubilden, der sein Haar nach Art brahminischer Büßer zu meterlangen Schnüren zusammengefilzt hatte und sich durch unablässiges Klappern mit einer Handtrommel bemerkbar zu machen suchte; in der anderen Hand drehte er eine plumpe Mani, bei der das sonst übliche Blechgehäuse, in dem die geschriebenen Gebete untergebracht sind, durch eine Lederhülle ersetzt war. Als ich dann aber glücklich den Lichtstrahlen eine freie Gasse gebahnt und alle unerwünschten Modelle mit sanfter Gewalt aus dem Wege geschafft hatte, erlebte ich eine Überraschung, die mir noch jetzt in den Ohren klingt. Im schmerzlichen Bewußtsein meines geringen Plattenvorrates wollte ich nämlich versuchen, ein paar andere Mönche wegen ihrer seltsamen Ausrüstung mit Hörnern aus menschlichen Armknochen mit auf dieselbe Platte zu bringen. Ich bedeutete den Männern, ihre aus den Gebeinsresten eines Lamas gebildeten schrecklichen Trompeten wie zum Blasen an den Mund zu setzen, - wurde jedoch völlig mißverstanden, denn die sonderbaren Musikanten brachten mit fürchterlichen Kraftanstrengungen so gräßliche, markdurchdringende Töne hervor, daß mein Trommelfell sicherlich vor Schmerzen gebebt hat. Kein Bitten, kein

Flehen, selbst nicht das Wegreißen der greulichen Blasinstrumente von den Lippen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Dukatenmännchen: auch Geldscheisser, Spielzeug aus Porzellan, das über eine Kurbelmechanik an passender Stelle Münzen fallen lässt
  2. WS: Maler Seekatz in Gutzkows Königsleutnant: vergleiche Karl Gutzkow. Der Königsleutnant, Dritter Aufzug, zweiter Auftritt.
  3. WS: Gerufene Geister: vergleiche Der Zauberlehrling.
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/376&oldid=- (Version vom 18.10.2021)