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Thoranspitze auf dem Schait-Felsen.

Vierundzwanzigstes Kapitel.
Die Mysterien des Swajambunath-Gipfels.

Ich pries mich glücklich, daß mein erbärmliches Befinden sich schnell besserte und mir erlaubte, den für die Völker- und Kultusvermischung in Nepal überaus charakteristischen Swajambunathberg zu besuchen. Es wäre ein unerträglicher Schmerz für mich gewesen, wenn es am Ende meiner Gnadenzeit geheißen hätte: Bezahle gefälligsst deine Rechnung, du mußt fort von hier, Sahib, deine Uhr ist abgelaufen! ohne daß ich die Wunder und Mysterien kennen gelernt hätte, die diesen Berggipfel seit grauen Zeiten zum Wallfahrtsziel sowohl für buddhistische wie brahminische Newaris gemacht haben. Der Weg zu diesem Berge führt an dem Richtplatz vorüber, der seit der Regierungszeit Jan Bahadurs nicht mehr sehr lebhaft in Anspruch genommen wird; aber vor derselben waren hier nicht nur barbarische Todesstrafen, sondern auch furchtbare Verstümmelungen an der Tagesordnung, und der Ort soll früher mit gebleichten Gebeinen geradezu übersät gewesen sein, da es Sitte ist, die Überreste der Hingerichteten als Fraß für Geier und Raubtiere liegen zu lassen. Gehörten die Verurteilten besseren Volksklassen an, so pflegten sie dem Scharfrichter ihre eigenen haarscharfen Schwerter zu übergeben, damit er an ihnen nicht, wie es häufig geschah, mit stumpfen Kukrimessern ein qualvolles Gemetzel vollführe. Weiber und Mitglieder der Brahmanenkaste durften hier jedoch nie öffentlich hingerichtet werden; erstere hielt man durch Abschneiden von Nase und Ohren und Verjagen aus dem Lande, die Brahmanen, deren Blut niemals vergossen werden darf, durch Abrasieren des Haarschopfes, woran ihre Seele nach dem Ableben zu Indras[WS 1] Himmel emporgezogen werden soll, für genugsam bestraft. Mit dem früher in Nepal häufig verhängten Ausreißen der Zunge wurde hier, auch noch nach der Abschaffung dieser Maßregel durch

Jan Bahadur, ein Verleumder bestraft, der von den Bauerfrauen für ihre Kinder

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Indra: vergleiche Indra
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/381&oldid=- (Version vom 1.7.2018)