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stattliche Burschen waren, mit bemerkbarer Gier daran, den Rand der Nischen zu erklettern und die Kettenvorhänge beiseite zu schieben. Mit ihren langen Armen holten sie dann durch die aufgezerrte Offnung von den Opfergaben soviel wie möglich heraus und hoben hierauf mit vereinten Anstrengungen den schweren, klirrenden Vorhang noch weiter empor, bis ein kleines Äffchen, das bisher auf dem Rücken seiner Mutter gekauert hatte, hindurchschlüpfen und den Rest der in die Nische hineingeopferten Nüsse und Hülsenfrüchte wieder herauswerfen konnte; wohlweislich ließ der kleine Affe einige verkümmerte und nicht ganz reife Stücke an der Opferstätte zurück und zwängte sich dann wieder auf dem gleichen Wege ins Freie.

Mannshohe Tempellampe aus Bronze. 1/17.

Ich beging nun die Torheit, dem Affenrudel ein paar Brosamen zuzuwerfen, die ich in der Tasche fand, und die ihnen zu munden schienen; dann schritt ich, nichts ahnend, um die Schaitya herum, um die hinter ihr stehenden Tempel, Glockenstühle und Steinsäulen aufzunehmen. Auf der höchsten dieser Säulen stand ein radschlagender Bronzepfau als Abbild des Reittieres des brahminischen Kriegsgottes Kartikeja, und ebenso fielen mir in und vor den Tempeln Lampen von ein bis zwei Meter Höhe auf, in deren Ölschale beständig ein Baumwollendocht brannte und an deren hinterem Rande sich ein Ganeschbild befand. Die Affen folgten mir jedoch auf Schritt und Tritt und hinderten mich an jeder weiteren Aufnahme, denn als ich unter das Dunkeltuch und auf die Einstellscheibe sehen wollte, blickte von draußen ein neugieriger Affe durch das Objektivglas in den Apparat, an dessen Stativbeinen er in die Höhe geturnt war, und wo immer ich die Kamera auch aufftellte, diente sie sofort einigen Vierhändern als willkommenes Klettergerüst.

Natürlich war es mir auch nicht möglich, in dieser gefräßigen Gesellschaft mein Frühstück einzunehmen. Ich lief deshalb mit meinem Proviantkorb aus dem Tempelbezirk auf einen anstoßenden Bergrücken, und erst als ich glaubte, mich genügend weit von der gierigen Bande weggeflüchtet zu haben, und als ich keinen einzigen Affen mehr erblickte, entnahm ich meinem Korbe ein hartgesottenes Ei, das ich auseinanderschnitt, um es mir zu Gemüte zu führen; doch noch ehe ich die eine Hälfte aus der Schale gehoben hatte, nahm ein kleines schwarzes Händchen, das an einem langen, dünnen, behaarten Arm über meine Schulter in das Ei langte, das halbe harte Eigelb aus dem Eiweiß heraus, während gleichzeitig ein anderer Affe die zweite Eihälfte, die ich neben mich gelegt hatte, ergriff und mit ihr davonrannte. Weniger belustigt als ergrimmt wollte ich dem listigen Affen, trotz seiner Heiligkeit, mit einem Knüppel ein paar wuchtige Hiebe verabreichen, doch war er bereits mit seiner Beute in den Tempelhof zurückgeeilt; nie bin ich verdrießlicher über Darwins Lehre gewesen, und nie

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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/386&oldid=- (Version vom 4.7.2018)