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meinem staunenden Hüter das Bild der Leute auf der Mattscheibe gezeigt hatte, begab ich mich selbst zwischen sie und winkte ihm; mit Inbrunst drückte er auf den Gummiball und bannte dadurch die Lichtstrahlen; die der Gaurisankar-Everest ausstrahlte, auf meine Platte, und mit ironischer Verbeugung dankte ich meinem Gehilfen für die hübsche Gruppe seiner Landsleute, die er gemacht hätte. Als er sich dann einen Augenblick entfernte, drehte ich den Apparat weiter westlich, um auch die dort sichtbaren Grenzgebirge zu photographieren; freilich habe ich den Argwohn, daß der Mann später heimlich die Kassette aufgezogen hat, um sich zu überführen, daß sich kein Bild darauf befände, denn die Platte belegte sich beim späteren Entwickeln mit einem Schleier, und nur durch allerlei chemische Kunstgriffe war es mir möglich, das verdorbene Bild wieder herzustellen.

Mit einem heiteren und einem nassen Auge nahm ich bei dem unaufhaltsamen weiteren Emporwogen der Wolken von dem großartigsten Gebirgsbilde der Erde Abschied. Wie ein leiser Spott erschien es mir, daß diese Wiederverhüllung bei dem Grenzgebirge zwischen Nepal und Sikhim anfing, dessen Photographieren von seinem jenseitigen, d. h. östlichen Abfall aus mir im bitterkalten November 1890 so viele Mühen gemacht hatte.

Über den Namen dieses höchsten Berges der Erde hat sich unter den Fachgelehrten ein ziemlich lebhafter Streit entsponnen. Herr Regierungsrat Dr. Emil Schlagintweit, ein Bruder des berühmten Indienforschers und wohl die maßgebendste Autorität hierfür, äußert sich über diese Frage in Petermanns geographischen Mitteilungen (1901, Heft II) folgendermaßen:[WS 1]

„Gegenüber den Einwendungen, welche seiner Zeit gegen die Einführung und Beibehaltung von Gaurisankar erhoben worden waren, bin ich für den Gebrauch dieses Namens eingetreten, und jetzt bin ich in der Lage, die Berechtigung hierzu auch gegen den neuesten Versuch zu erweisen, den indischen Namen durch einen tibetischen zu ersetzen.

An tibetischen Namen für Everest sind seither bekannt geworden:

1. Chomo Kankar, genauer Jomo gangs dkar.[WS 2] Diesen Namen bringt zuerst Sarat Chander Das,[WS 3] der verkleidet als Pandit 1881/82 im Auftrag des indischen Vermessungsamtes nach Lhasa reiste und jetzt die Stellung eines Regierungsdolmetsch für Tibetisch einnimmt.

Die Offiziere der indischen Trigonometrical Survey hatten von der Mitteilung ihres Pandits wenig Notiz genommen, weil die Angabe doch unbestimmt war; man neigte dazu, in Chomo den Peak Nr. XIII, auch Makalu[WS 4] genannt, zu erkennen.

Der Name Jomo gangs dkar ist durchaus tibetisch und bedeutet wörtlich ‚Herrin des weißen Schnees‘, übertragen ‚Göttin des Schneelandes Tibet‘. Tibet heißt in der Literatur das Schneeland, und Jomo wird Prinzessinnen, dann Verkörperungen von Göttinnen in gütiger Form als Anrede gegeben. Die weiße Târâ[WS 5], eine nepalesische Prinzessin, ist die verehrteste Königin und

zugleich Göttin des Landes Tibet; sie nimmt verschiedenes Formen an und hat

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Das Zitat von Schlagintweit zieht sich über die Seiten 314 bis 316.
  2. WS: Chomo Kankar: der Name wurde auch in weiterer Literatur zwischen 1850 und 1950 genannt und diskutiert. Vergleiche B. L. Gulatee, The Himalayan Journal Vol. 17 (1952), der auch den Irrtum Schlagintweits bezüglich Gaurisankar aufklärt.
  3. WS: Sarat Chander Das: vergleiche Sarat Chandra Das (en)
  4. WS: Peak Nr. XIII/Makalu: vergleiche Makalu
  5. WS: weiße Târâ: vergleiche Weiße Tara
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/402&oldid=- (Version vom 28.8.2018)