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dunklen Augen gefunden hätte. Mit rührender Aufmerksamkeit forschte sie in der Pflanzung behende nach besonders dichten Kakaobüschen herum, von denen sie dann mit einer Art von Zärtlichkeit die schönsten Schoten abschnitt, wobei ihr ganz unabsichtlich das Schaltuch von der Schulter glitt, so daß die Zierlichkeit ihrer Figur zur vollsten Geltung kam. Zuerst vorsichtig prüfend und lächelnd, dann immer lebhafter schlug sie im Laufe unseres Geplauders ihre Feuerblicke zu mir auf, so daß ich mir förmlich Zwang antun mußte, mich nicht so weit zu vergessen, die Gebote der Gastfreundschaft schmählich zu verletzen. Ob nun meine Zurückhaltung der Bronze-Circe langweilig wurde und sie mich für einen rundreisenden Inbegriff von Blödheit hielt, oder ob irgend ein sprachliches Mißverständnis eintrat, gleichviel, urplötzlich änderten sich ihre Mienen, ihre Augen schossen förmlich Blitze, das gekrümmte Messer zitterte in ihrer Hand, und mit hastigem Wurfe schleuderte sie mir die abgeschnittenen Schoten gegen die Brust; dann ergriff sie in wilder und doch holder Verwirrung ihr Schaltuch, stülpte es mir rasch über den Kopf und rannte mit unverständlichem, leidenschaftlichem Gemurmel ins Haus.

Tamulin, unter einem Kakaoschoten tragenden Baum eine solche zerschneidend.

Da stand ich nun mit meinen Kakaoschoten im Arm und dem zarten weißen Schleier über dem Haupt und hätte am liebsten das wehmutsvolle Lied angestimmt: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten!“ Kopfschüttelnd trollte ich mich in die Wohnung des Pflanzers zurück. Er schliefe fest, wurde mir mürrisch von einem Bedienten, der die Spuren des Gelages fortzutilgen versuchte, bedeutet, und auf meine Frage nach der Favoritin des gnädigen Herrn hieß es lakonisch: sie habe sich in ihr Gemach zurückgezogen. Unter diesen Umständen hielt ich es für das Schicklichste, mich mit Hinterlassung einiger Dankeszeilen so leise wie möglich zu entfernen. So oft ich aber jetzt eine Tasse Kakao an den Mund setze, blickt mir daraus die vorwurfsvoll lächelnde Tamulin entgegen! Und doch habe ich wahrhaftig keine Ahnung, wodurch ich einen Vorwurf verdient haben könnte.

Der See von Kandi

Es wäre unrecht, von Ceylon zu scheiden, ohne einen Augenblick in der Stadt Kandi zu rasten, die jedoch nur Europäer und Tamulen mit diesem

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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/48&oldid=- (Version vom 12.12.2022)