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Verfolgte auf Ceylon schützende Zuflucht. Nestorianer, schiitische Moslems, vor dem siegreich vordringenden Islam aus Indien flüchtende Hindus[WS 1], sowie von den Holländern verfolgte, durch die Portugiesen gewaltsam zu Katholiken bekehrte Eingeborene —- sie alle wurden gleich duldsam von den eingeborenen Sinhalesen aufgenommen, ja, sie erbauten sogar im Jahre 1845 zum Gedächtnis des bei ihnen beliebten, vom Blitz erschlagenen englischen Kapitäns Roger eine christliche Grabkapelle![WS 2] Beinahe rührend ist auch der Gleichmut, womit die Sinhalesen dem bekannten Streit gegenüberstehen, ob die flache Vertiefung auf dem Felsgipfel des Adamspik[WS 3] wirklich von Buddha erzeugt wurde, als er zum Himmel ausstieg, während die Mohammedaner natürlich den ältesten ihrer sechs Propheten Adam, Noah, Abraham, Moses, Christus und Mohammed, die Hindus dagegen ihren Gott Schiwa und die katholischen Portugiesen den Apostel Thomas für den unzweifelhaften Urheber des angeblichen Fußabdruckes erklären.

Häuptling der Hochland-Sinhalesen in Festtracht.

Bei dem erwähnten Umzug des Buddhazahnes und bei anderen großen Festen, z. B. solchen zu Ehren ganz besonders hochstehender reisender Fürstlichkeiten, wie des jetzigen Zars[WS 4], der als Großfürst-Thronfolger im Jahre 1890 Ceylon besuchte, oder des jetzigen Königs von England[WS 5], als er noch Prinz von Wales hieß, erscheinen die Nachkommen der einstigen Sinhalesenfürsten in der bei ihren Vorfahren üblichen Tracht. Einer dieser Fürstensprößlinge, den ich im Innern des Landes aufsuchte, erwies mir, ebenso wie seine schöne Tochter, die fast rührende Gefälligkeit, diese kostbaren Kleidungs- und Schmuckstücke, die sichtbaren Erinnerungen einstiger Macht und verblichenen Glanzes, anzulegen, deren Einzelheiten durch die Porträts, die ich in dem Landsitz des vornehmen Sinhalesen ausgenommen habe, besser als durch Worte beschrieben werden. Freilich vermag kein Bild die köstliche Farbenpracht und den schimmernden Glanz der seidenen Gewänder, noch das Flimmern und Funkeln der Perlen und Edelsteine, der Gold- und Silberstickereien auf diesen Kleidern wiederzugeben. Spottlustige werden sich allerdings wohl alsbald darüber aufhalten, daß diese hohen Herren bereits in alten Zeiten die Schinkenärmel[WS 6] als das

Ideal fürstlicher Männertracht anerkannt haben; sie sind aber keineswegs so

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS-Hinweis: Die Begrifflichkeit „Hindu(s)“ verwendet Boeck für eine nicht genauer spezifizierte Volksgruppe, welche Hindi spricht. „Hindutum“ und „Hinduismus“ meint vor allem Hindu-Kultur und -Gebräuche, die aber auch religiös konnotiert sein können. Wo er spezifisch die Religion thematisiert, unterscheidet Boeck meist klar zwischen muslimischen oder brahminischen Hindus, erstere wohl indische Muslime, die er ethnisch-kulturell als Hindus verortete.
  2. WS: Kapitän Roger: Die St.-Markus-Kirche von Badulla wurde nach dem Tod von Major Thomas William Rogers (1804-1845, bekannt für das Erlegen von mindestens 1400 Wildelefanten) erbaut.
  3. WS: Adamspik: vergleiche Adam’s Peak
  4. WS: russischer Zar 1894-1918: vergleiche Nikolaus II.
  5. WS: englischer König 1901-1910: vergleiche Eduard VII.
  6. WS: Schinkenärmel: vergleiche Keulenärmel
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/55&oldid=- (Version vom 1.7.2018)