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ein gutes oder böses Omen wittern, und nirgends in der Welt wird mehr Gewicht darauf gelegt, ob jemandem bei Tagesbeginn zuerst ein unsympathischer oder ein liebenswürdiger Mensch entgegenkommt; da aber Furcht vor bösen Geistern jedenfalls die wesentlichste religiöse Empfindung ist, kann es nicht wundernehmen, daß neben Buddha eine Unzahl von Dämonen angebetet werden, obwohl die reine Lehre Buddhas jeden Geisterkultus verwirft. Krankheitsfälle sind für das unwissende Volk auch heute noch Offenbarungen der Macht von Dämonen, gegen die nur mit so außergewöhnlichen Mitteln aufzukommen ist wie sie eben das Geheimnis der Teufelsbeschwörer sind. Diese Scharlatane verfahren mit ihren Patienten folgendermaßen: Der Teufelsbeschwörer besitzt einige buntbemalte, grauenerregende Holzmasken, deren fratzenhafte Gesichtszüge die gräßlichen Phantasiebilder darstellen sollen, die sich das Volk von dem Mahakola Jakscha[WS 1] und seinen achtzehn dämonischen Hilfsgeistern als Krankheitserregern zurecht gemacht hat. Mit diesen Masken angetan, begibt sich nun der Dämonenbeschwörer nebst seinen Spießgesellen zu dem Kranken, vor dem nach allerlei Zauberförmlichkeiten ein Maskenträger nach dem andern erscheint und seine immer wilder ausartenden Tänze zum besten gibt. Einer der Tänzer stürzt dabei plötzlich wie im Kampf mit unsichtbaren Kräften unter krampfhaften Zuckungen zu Boden, worauf niemand bezweifelt, daß der dieser Maske entsprechende Dämon in dem Patienten gehaust habe, aber nunmehr, von Konkurrenzwut getrieben, aus der Haut des Kranken gefahren sei, um den Teufelstänzer anzugreifen und zu verfolgen. In Kranken und Schwachen vermag die Einbildung bekanntlich Wunder zu tun, und deshalb fühlt sich der Leidende nach dem Tanze gewöhnlich sehr erleichtert und füllt die habgierigen Hände der Beschwörer so freigebig, wie es seine Mittel erlauben. Noch drastischer und wesentlich einfacher ist das Verfahren indischer Dämonenbeschwörer, von denen der eine, über eine Schüssel Reis gebeugt, der Reihe nach die Namen aller Krankheitsdämonen murmelt; während sich der andere, der ebenfalls über ein Reismaß gebeugt dasitzt, urplötzlich überschlägt, sobald der Name des gerade wirkenden Dämons erwähnt wird.

Sinhalesenschule.

Durch mehr als viertausend Schulen, in denen etwa 150 000 Kinder, Knaben und Mädchen gemeinsam, unterrichtet werden, sucht die englische Regierung die Reste dieses tief eingewurzelten uralten Aberglaubens auszurotten; um den Schulbesuch volkstümlicher zu machen, verlangt sie nicht die vorherige

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Mahakola Jakscha: vergleiche Mahakala (zur Gottheit) und Yaksha (zu den Geistwesen)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/59&oldid=- (Version vom 5.7.2018)