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spukhaften Schemen dazwischen hin und her. Die ganze Volksmasse war in beständiger fließender Bewegung, und jede der seltsamen Figuren wurde alsbald leise von einer anderen verdrängt, deren Gesichtszüge und Eigenart fesselten; kann es z. B. einen erstaunlicheren Männerschmuck geben, als die beiden spannenlangen Bambusrohre, die der Mot[WS 1] durch die Ohrläppchen steckt, und in deren einem er den Tabaksvorrat, in dem anderen Tabaksblätter zum Herstellen seines Zigarettenbedarfs herumschleppt? Gerade wie der gemeine Mann bei uns zu Lande nach vollbrachtem Kirchgange seine Sonntagsheiligung durch das Brandopfer einer oder mehrerer besonders guter Zigarren ausdrückt, so erreicht bei einem solchen Volksfest in Birma der schon an gewöhnlichen Tagen recht beträchtliche Zigarettenverbrauch einen Umfang, der der beängstigenden Größe der manchmal sogar noch mehr als fusslangen birmanischen Zigaretten[WS 2] ebenbürtig ist; allerdings darf man nicht vergessen, daß dies Familienzigaretten sind, die bald von der Mama oder dem Herrn Vater und bald von dem einen oder anderen der lieben Kinderschar je nach Bedarf und Laune zum Munde geführt und in beständigem Glimmen erhalten werden. Schreit ein Baby gar zu herzbrechend, so wird ihm nicht ein süßes Lutschbeutelchen, sondern die qualmende Zigarre in das Mäulchen geschoben; dann ist es sofort still. Auch über die verschiedenen Arten des Transportes dieser Säuglinge in Körben, Schlingen oder Tüchern konnte ich bei dieser Gelegenheit die unterhaltendsten Studien machen.

Garkoch, eine Zigarette rauchend.

Von den halbwilden Indo-Chinesen stechen die sauberen einheimischen Birmanen auffällig ab, zumal an solchem Tage, wo sie ihre schönsten blaßfarbigen Seidenbinden um den Kopf und die wundervollsten ihrer buntkarrierten Tücher um die Hüften geschlungen haben und einen im höchsten Grade festlichen Gesamteindruck machen. Ist schon jede Bazarhalle in Birma mit den geschmackvoll geordneten, hoch aufgestapelten üppigen Erzeugnissen des Landes und den einschmeichelnden Gestalten ihrer graziösen, heiteren Verkäuferinnen ein entzückend malerisches Bild, so wurden hier die so nett wie bei einer Weihnachtsbescherung auf reinen, weißen Tüchern aufgebauten Opferspenden an Früchten, Blumen und Getreidehaufen, umringt von einer Volksmenge von märchenhafter Buntheit, zu einem leben- und farbensprühenden Gemälde, das sich keine Phantasie vorstellen kann; durch die Ruhe und das anständige, höfliche Benehmen der wirr

durcheinanderflutenden Massen wäre tatsächlich der Eindruck eines wunderbaren

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Mot: Ethnie/Volksgruppe, konnte noch nicht identifiziert werden
  2. WS: Birma-Zigarre: vgl. Cheroot (en)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/67&oldid=- (Version vom 15.2.2024)