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die der Schwe Dagon-Pagode[WS 1] zu Rangun zum Verwechseln ähnlich ist und in deren innerstem Kern zwei Haare des „großen Lehrers“ eingemauert sein sollen. Mehr als hundert Meter hoch erhebt sich dieses ebenfalls ganz und gar übergoldete glockenförmige Gebäude auf einem achteckigen Sockel, auf dessen mehr als fünfzig Meter langen Seiten 128 kleine Dagobas aufgestellt sind. Beständig haben einige Goldschmiede damit zu tun, an dieser weit ins Land hinaus strahlenden, auf einem Hügel liegenden Pagode die von Wallfahrern gespendeten Blättchen Gold auf dem Mauerwerk zu befestigen; ganz fabelhaft müssen die Summen sein, die im Laufe der Zeit in diese Vergoldungen gesteckt wurden, denn die grundlegende Übergoldung der Schwe Dagon-Pagode bei Rangun soll z. B. dem Könige Mindon Min mehr als eine Million Mark gekostet haben! Allerdings steht diese bei allen Buddhisten Indo-Chinas in höchstem Ansehen, da sie nicht weniger als acht Haare des „Erleuchteten“ und verschiedene Reliquien anderer „großer Lehrer“ enthält. Auch hier ziehen an festlichen Tagen wahre Völkerströme durch das zu diesem Tempelbezirk führende phantastische Eingangstor, neben dem zwei hellgetünchte Leogryphen[WS 2] Wache zu halten scheinen. Diese bizarren Tierfiguren sollen die Erinnerung an eine Löwin wachrufen, von der ein in der Wildnis ausgesetzter birmanischer Königssohn gesäugt und auferzogen wurde, die aber schließlich an gebrochenem Herzen verendet sein soll, als man ihr diesen Prinzen von der Seite nahm.

Nach Auffassung der Brahmanenphilosophie ist alles, was uns umgibt und was wir erleben, überhaupt gar keine objektive Wirklichkeit, sondern nur eine in unserer Einbildung bestehende Scheinwelt, in der es sich der Mühe

nicht verlohnt, nach ebenfalls nur eingebildeten Gütern und Genüssen zu streben

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Schwe Dagon-Pagode: vergleiche Shwedagon
  2. WS: Leogryph: vergleiche Yali (Mythologie)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/82&oldid=- (Version vom 1.7.2018)