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Wir steigen ein; – ah, wie geräumig, wie luftig sind diese Wagen mit ihren breiten Längssofas, unter denen sich unglaublich viel Handgepäck unterbringen läßt! Auf einer meiner Indienreisen stieg ich einmal mit wohlgezählten 35 Handgepäckstücken in einen bereits von zwei ähnlich ausgestatteten Kavalieren besetzten Wagen ein, und unsere Habseligkeiten vertrugen sich ganz gut miteinander. Was würde wohl ein Schaffner bei uns zu Lande, etwa nördlich von Meißen, wo die Herren Beamten in der Höflichkeit manchmal etwas zurückgeblieben sein sollen, dazu gesagt haben? Vermutlich: „Sie sind wohl brustkrank im Kopp, Männeken?“[WS 1] oder so etwas Ähnliches. Ich darf übrigens nicht vergessen, hierbei zu erwähnen, daß ich unter besagtem Handgepäck nicht weniger als sieben Hutschachteln mit mir führte, zumeist aus Blech. Man trägt nämlich einen luftdicht verschlossenen, unförmlich großen und dicken, aber Nacken und Augen gründlich vor dem Sonnenstich schützenden Hut aus Kork oder Pflanzenmark auf dem Lande oder auf der Jagd in den Dschungeln, bei Besuchen in der Stadt dagegen einen etwas zierlicheren Sonnenhelm aus Leder, der peinlich sauber mit stets frischgeweißter Leinwand bezogen und der Lüftung wegen durch einen gewellten Lederreifen vom Kopfe fern gehalten wird und der auch an der Spitze mit einer Ventilationseinrichtung versehen ist. Von fünf Uhr nachmittags an ist dieser weiße Sola Topi jedoch nicht mehr am Platze, dann tritt ein steifes, schwarzes Filzhütchen oder ein weicher „Knock-about“[WS 2] in seine Rechte, während bei allen Haupt- und Staatsaktionen natürlich die Angströhre des Cylinderhutes auf dem Haupte des gestrengen „Sahib“[WS 3] dem beturbanten Hindu einen heilsamen Begriff von der Überlegenheit des weißen Mannes beibringen soll. Im Wagen, Automobil, in der Eisenbahn oder auf dem Dampfschiff, ja selbst auf dem Wege zum Ballsaal wird aber baldigst jegliche Behutung gegen die „Smoking Cap“[WS 4] vertauscht, wobei es unserem deutschen Auge allerdings zuerst ungemein drollig vorkommt, solche niedrige Mütze als oberen Abschluß eines dick mit Orden behängten Fracks nebst weißer Binde zu erblicken.

Für die Aufbewahrung des kleineren Gepäcks kann freilich mehr Platz zur Verfügung sein als bei uns, weil in Indien bei 35°C. Durchschnittstemperatur wohl niemand Heizvorrichtungen unter den Sitzen verlangt. Nirgends fällt diese Hitze aber so lästig, wie in den Bahnhöfen. Vor jeder Abfahrt aus einer Station erscheint deshalb ein Diener, um Roheis anzubieten, das dann zur besseren Kühlung des Wagens in Wandkästen gelegt wird. Auch die Lüftung der Wagen ist so vollkommen wie möglich; man kann die Fenster öffnen oder durch einen Vorhang, eine Holzjalousie, durch klares oder – weil in Indien fast jeder Europäer augenleidend wird — ganz nach Wahl durch blaues, grünes oder graues Glas verschließen. Der Waschraum bietet ausreichenden Platz zu einem gründlichen Bade, und die Federn der Wagen sind bester Art. Man rollt einfach sein Bündel Kopfkissen und Decken auseinander und schläft auf den fast meterbreiten Sofasitzen besser, als in manchem engen Schlafwagen bei uns.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Brustkrankheit: vergleiche Tuberkulose und Luftkur
  2. WS: Knock-about: Knautschhut
  3. WS: Sahib: vergleiche Sāhib
  4. WS: Smoking cap: vergleiche Smoking cap
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/89&oldid=- (Version vom 1.7.2018)