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befand. Der gestrenge Gatte sprang entsetzt aus seinem Wagen und verfiel alsbald in Wahnsinn und Raserei, nicht etwa vor Aufregung über die Feuersgefahr, in der seine Frau schwebte, sondern aus Wut darüber, daß sie bei den Lösch- und Rettungsanstalten von anderen Männern, und noch dazu europäischen, aus ihrem Käfig gezerrt und erblickt worden war!

Europäische Geschäftsreisende, die mit den neuen Mustern ihres Hauses die eingeborene Kundschaft besuchen, sieht man in Indien nur selten. Dadurch entfällt den Bahnen der entsprechende Teil von Passagieren der besseren Klassen. Im Hindu wurzelt tiefes Mißtrauen gegen den Europäer, und dies hält ihn ab, nach einer vorgelegten Probe auch nur für eine Rupie Auftrag zu geben. Wer seine Waren nicht sämtlich zur Stelle haben, zur Auswahl vorlegen und gleich abgeben kann; wie etwa Juweliere, tut besser, seine Reise zu unterlassen. Wohl kauft der eingeborene Großhändler vom Europäer, mit Vorliebe sogar vom Deutschen, dessen leutseliges Wesen und große Verschiedenheit der Preislagen ihm angenehmer ist als der Stolz des Engländers, der nur erstklassige Waren führen will, aber er kauft vom Lager weg, was er sehen und vor seinen Augen in seinen Bazarspeicher überführen lassen kann, wo dann die Wiederverkäufer in gleich vorsichtiger Weise ihre Einkäufe vollziehen. Europäische Kaufleute bereisen Indien deshalb mehr, um für den Export einzukaufen oder um europäische Abnehmer aufzusuchen, die dann an Ort und Stelle die Hinduhändler versorgen, wobei alle größeren Einfuhrgeschäfte die Waren unmittelbar von ihren Stammhäusern in Europa bekommen.

Demnach setzt sich das in Indien reisende europäische Publikum nicht, wie dies bei uns der Fall ist, überwiegend aus Geschäftsreisenden, sondern aus Beamten und Offizieren zusammen, deren fortwährende Versetzungen und häufige Urlaube ein beträchtliches Kommen und Gehen veranlassen. Jedem aus einem Militärstaat kommenden Reisenden fällt dabei sofort der Mangel jeglicher Sonderstellung der Offiziere auf. Der bei uns noch von der Militärzeit her jedem Deutschen in den Gliedern steckende Respekt vor der Uniform tritt in Indien nirgends zu Tage, und auch in den Augen der heiratslustigen jungen Damen haben militärische Titel viel weniger Anziehungskraft als Amtsbezeichnungen der weit höher dotierten und gesellschaftlich den Offizieren allermindestens gleichberechtigten Vertreter des „Civil Service“. Einen Gatten aus diesem Civil Service, einen recht hochgestellten, nach kurzer Dienstzeit zu beträchtlichem Pensionsbezug berechtigten Beamten oder aber einen möglichst wohlhabenden Kaufmann zu ergattern, das ist das Ziel der praktischen Jungfrau in Anglo-Indien. Daß die allgemeine Bildung vieler englischen Offiziere unglaublich gering ist, wird selbst von englischen Blättern zugegeben und beklagt.

Auf den indischen Eisenbahnen wird auf die berechtigten Eigentümlichkeiten des Volkes weitgehende Rücksicht genommen, und namentlich muß dies gelegentlich aller Frauentransporte geschehen. Um z. B. in Hinter-Indien[WS 1] die Weiblichkeit für die Benutzung der immer weiter nach dem Norden Birmas

vorgeschobenen Eisenbahnen hold zu stimmen, die dort über kurz oder lang

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: HInter-Indien: vergleiche Hinterindien
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/95&oldid=- (Version vom 1.7.2018)