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sie in ähnlichen Verhältnissen die Schweden und Holländer unternahmen. Die Schweizer waren gezwungen, ihren nationalen Reichtum, die kriegsgewohnte Mannschaft, in fremdem Solde zu verwerten, und als das Entstehen der Nationalheere diesen Erwerbszweig unmöglich machte, die Fremden durch die idealen Schönheiten ihrer Berge und historischen Erinnerungen ins Land zu locken, um sich von ihnen zu nähren. Genau dieselben Entwicklungsperioden weist die Geschichte des demokratischen Hellas: die Perserkriege, die Kriegsdienste in persischem und macedonischem Solde und schließlich die Fremdenindustrie zur Zeit der römischen Weltherrschaft, deren klassisches Denkmal der „Baedeker" des Pausanias ist.

So wenig als für das alte Griechenland ist für uns eine vierte Entwicklungsperiode möglich. Die Fremdenindustrie – der Ausdruck ist nicht gerade schön und entsprechend, aber er ist begrifflich geworden – bildet einen wesentlichen Bestandteil der Schweizerart. Sie ist eine modernisierte, auf die Höhe der Kultur gebrachte Entwicklung der primitiven Tugend der Gastfreundschaft.

Voraussichtlich ist bei dem blinden, alle Brücken abbrechenden Hasse der Kriegführenden unsere Fremdenindustrie auf Jahre hinaus schwer geschädigt. Ein Zusammenleben der internationalen Gäste in bisheriger Weise ist kaum mehr denkbar. Das ist nicht nur ein ideeller Nachteil für die europäische Kultur, die an diesen neutralen Stätten ihre internationalen Freundschaften knüpfte, es ist ein unberechenbarer materieller Verlust für unser unschuldiges Land. Es ist nicht nur unser unveräußerliches Recht, sondern unsere heilige Pflicht gegen uns selber, die Existenzfragen bei der Ausübung unserer „moralischen“ Neutralität in Rechnung zu stellen. Der Magen kommt vor dem Herzen, ist die Vorbedingung für dessen normale Funktion.

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Robert Durrer: Kriegsbetrachtungen. Rascher & Cie., Zürich 1915, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DurrerKriegsbetrachtungen.pdf/28&oldid=- (Version vom 31.7.2018)