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schon recht rund geworden und läßt sein Zöpflein, das er bislang verstecken mußte, stolz und frei weit auf den Rücken herabhängen. Indem er seiner einflußreichen leiblichen Vetterschaft die Ersparnisse vorrechnet, ist es ihm schon gelungen, unsere Post- und Verkehrsorgansiation, die unsern Ruhmestitel bildete, so zu beschneiden, daß man an das Beispiel von Josue erinnert wird, dessen Gebet den Lauf der Sonne um einen Tag zurückhielt. Er hat den biblischen Helden übertroffen und unsere Verkehrsverhältnisse gleich um Jahrzehnte zurückgeschraubt. Ob die verhältnismäßig geringen wirklichen Ersparnisse und die fiktiven Zahlenverschiebungen im Staatshaushalt die Nachteile aufwiegen, die dadurch unser Wirtschaftsleben erleidet? Die Bureaukratie hat die anfangs begreifliche öffentliche Depression allzu lange ausgenützt und systematisch die falsche Supposition begünstigt, als ob auch wir im Kriegszustand wären. Zu diesem Zwecke suchte man sogar die alten Sitten- und Polizeimandate aus dem Staub der Archive hervor. Verbote harmloser Lebensfreude, deren Wertlosigkeit und verkehrte Wirkung jeder Geschichtskenner aktenmäß beweisen kann.

Früher hat man auf den Zinnen ausgehungerter Burgen fingierte Bankette gefeiert und den Belagerern den letzten Schinken herabgeworfen. Warum sollen wir unserm Volke und unsern Nachbarn einen Notstand vormalen, der in diesem Maße gar nicht real ist und wie wir hoffen dürfen, auch nicht bevorsteht? Wir brauchen gesteigertes Selbstvertrauen für unsere nationalen und internationalen Aufgaben, und dafür ist die Stimmung, wie sie Simplizissimus während der Schreckenszeit des Dreißigjährigen Krieges in unserem Vaterland fand, noch heute die psychologsiche Voraussetzung.

Von der Aufgabe, von der kulturellen Vermittlerrrolle, die der Wiederherstellung der Verhältnisse unser wartet, geben die unzählbaren Briefe, die heute täglich von Saisongästen an die schweizerischen

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Robert Durrer: Kriegsbetrachtungen. Rascher & Cie., Zürich 1915, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DurrerKriegsbetrachtungen.pdf/39&oldid=- (Version vom 12.12.2022)