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Geschäft aufblühte und etwas Grundbesitz erworben war, erhöhte sie diese Konten auf je 10000 M. In den Jahren, in denen ich außerhalb studierte und später ohne entsprechende Einnahmen wissenschaftlich arbeitete, bestritt ich meine Ausgaben von diesem Konto. Ich war erst in Göttingen, dann in Freiburg bei der Dresdener Bank akkreditiert; meine Abhebungen wurden mit unserer Firma verrechnet. Als ich einmal meine Schwester Frieda fragte, ob mein Vermögen nicht längst aufgebraucht sei, antwortete sie, eigentlich wäre es so, aber meine Mutter hätte bei jedem Jahresabschluß die zusammengeschmolzene Summe wieder auf die alte Höhe ergänzt. Während des Krieges wurde zum ersten Mal ein größeres Bankkapital auf der Bank angesammelt. Unser Geschäft war besser als andere mit ausländischen Hölzern eingedeckt; so war der Absatz groß, und die eingehenden Summen konnten nicht wieder in Waren angelegt werden, weil nichts über die Grenzen hereinkam. Kriegsanleihen und Inflation haben dieses Vermögen aufgezehrt.


3.

Wenn ich auf alles das zurückblicke, was ich in meinen ersten Semestern trieb, dann frage ich mich selbst, wo ich die nötige Zeit zum Studium hernahm. Tatsächlich füllte es aber doch meine Tage aus. Die Privatstunden legte ich möglichst auf den frühen Morgen oder auf die Zeit vor dem Nachtessen. Die andern Veranstaltungen waren abends. So behielt ich den Tag frei, und ich nützte ihn gut aus. In den ersten Semestern war meine Hauptarbeitsgefährtin Kaethe Scholz. Als sie später nach Paris ging, trat an ihre Stelle Eduard Metis. Ich lernte ihn bei den sehr seltenen Sitzungen des Akademischen Humboldt-Vereins kennen, die er als Vorsitzender leitete. Ich schenkte ihm dabei ebensowenig Beachtung wie den andern Anwesenden. Es wurden bei diesen Sitzungen nur geschäftliche Dinge – die Verteilung der Kurse u.dgl. – besprochen, und ich war froh, wenn sie vorbei waren. Am Ende des Sommersemesters 1912 wurde ein Sommerfest für die Kursteilnehmer und ihre Familien veranstaltet. Ich liebte solche Volksbelustigungen nicht, aber es war Anstandspflicht gegen die Hörerschaft, mitzutun. So fuhr ich nachmittags mit hinaus ins Freie und suchte das Beste aus der Sache zu machen. Vor allem beteiligte ich mich an den Spielen der Kinder auf dem Rasen. Als es dunkel wurde, brachen die Mütter und Kinder auf. Die Zurückbleibenden rüsteten sich zum Tanz.

Das war auch für mich das Zeichen zum Aufbruch. Als ich sah, daß Herr Metis sich zurückziehen wollte, schlug ich ihm vor, den

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Edith Stein: Aus dem Leben einer jüdischen Familie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1965, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Aus_dem_Leben_einer_j%C3%BCdischen_Familie.pdf/154&oldid=- (Version vom 31.7.2018)