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uns gegeben ward, ehe es genommen wurde: ja, all dies verstehe und bejahe ich, obwohl es mir sehr, sehr schwer fällt. Ich weiß wohl, daß für Sie selber ‘Auferstehung, Unsterblichkeit’ noch einen tieferen und volleren Klang hat; aber ich muß mit dieser leisen und lieben Stimme fürlieb nehmen. Edith Stein hat mich, als sie schon Nonne war, dringend gemahnt, alle Klugheit zu vergessen und wie ein Kind zu werden, um so ins Himmelreich eingehen zu können“.

Wir bringen in diesem ersten Teil der Biographie Edith Steins wortgetreu die Selbstbeschreibung ihrer Kinder- und Jugendjahre. Die Autorin hat sie so verfaßt, in dem unverkennbaren Bestreben, Tragik und Glück des jüdischen Familienlebens in seiner vollen Tiefe und Schönheit darzustellen. Sie will das bedeutsame Licht, in dem sie die intimsten Beziehungen zur eigenen Familie erblickte, unverhüllt auch vor unsern Augen erstrahlen lassen.

Die tiefe Verbundenheit mit ihren Lieben, mit ihrem Volke, mit allen, die von ihr erwähnt und mit meisterhafter Feder gezeichnet werden, bestimmt Form und Farbe ihres Selbstporträts. Edith Stein trägt zeit ihres Lebens die Züge der Familie, aus der sie hervorging.

Edith Stein betont in ihrem Vorwort den apologetischen Sinn und Anspruch dieses Lebensromans. Obgleich dies heute vielleicht weniger dringlich erscheint, da gerade die vom Nationalsozialismus gemeinsam erlittene Verfolgung das alte und das neue Gottesvolk näher zusammenführte, so bleibt diese Familiengeschichte doch ein fruchtbarer Beitrag zum tieferen Verständnis der Eigenart des jüdischen Volkes. Wir finden hierin alle Gegebenheiten der menschlichen Situation, zugleich ein geschlossenes Bild der Entwicklungskräfte, die den Aufstieg zur Höhe bewirkten. Wir lernen das Fundament eines Familienlebens kennen, das einen solchen Höhenflug ermöglicht und den notwendigen inneren Halt gewährleistet in den schwersten Schicksalsstunden, die doch auch in Gottes Vorsehung liegen.

Das Licht der Frauengestalt Edith Steins steigt hell und rein aus der Beschreibung des eigenen Werdegangs empor. Ihr selbstgeschriebener Lebensroman bedarf keiner weiteren Auslegung.

Im Garten der Familiengeschichte windet Edith Stein einen Kranz von Charakterbildern ihrer nächsten Verwandten, ihrer Freunde und Studiengefährten, ihrer Lehrmeister und Vorgesetzten, vieler Personen, die ihr im Berufsleben begegneten. In dem zarten Duft und dem Farbenglanz dieses Kranzes erblicken wir in verborgener Schönheit das Bildnis ihrer eigenen Seele, in den diesem Kranz eingeflochtenen Disteln und Dornen erfahren wir etwas von der schonungslosen Härte der jüdischen Existenz, den scharfen Konturen der jüdischen Individualität und der freimütigen Selbstkritik echt jüdischen Geistes.

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Aus dem Leben einer jüdischen Familie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1965, Seite VII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Aus_dem_Leben_einer_j%C3%BCdischen_Familie.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)